Und wir scheitern immer schöner
klar.
Eigentlich will ich aussteigen. Südeuropa. Ein Haus am Strand, und alle können mich mal. Den Rest des viel zu schnellen Lebens abgammeln. Nichts mehr tun, außer Eindrücke zu bekommen. Ohne Verpflichtung.
Ich denke so an mein Leben. Da ist der Job als Arzthelferin. Und die Freizeit ist das hier. Schlechte Menschen mit schlechten Klamotten in schlechten Discos. Ich werde langsam zu alt für das. Ich muss hier weg.
Das Schönste, was ich an meinem dreißigsten Geburtstag getan habe, war, meinen Fernseher aus dem Fenster auf die Straße zu werfen. Ich habe mir auch keinen neuen gekauft, denn dieses Statement wollte ich gern so stehen lassen. Es hat keinen gestört, dass da einfach so ein TV-Gerät auf die Straße knallt. Weder Lärm noch Müll. Die zarten Menschen meiner Nachbarschaft sind so kraftlos. Schlimm eigentlich.
Wir hören Depeche Mode, was für ein grober Unfug, The Cure, zum Beruhigen ganz gut, Pet Shop Boys – ich kann nicht mehr! – und anderen Schrott, die man damals als Jugendliche schon im Radio gern überhört hat.
Ich beobachte eine krass betrunkene Frau. Ihr ganzes Gesicht ist voller Narben und sie ist so breit, dass sie kaum gehen kann. Sie ist verdammt hässlich und hat erstaunlich gute Laune. Irgendwann hängt sie neben mir rum und bestellt sich hochprozentigen Schnaps. Plötzlich steht auch neben mir ein hochprozentiger Schnaps, von der Narbenfrau dorthin platziert. Dann höre ich ihr zu, wie sie mir eine verstörte Geschichte ins Ohr lallt. Ihr Vater ist wohl schuld an ihrer Gesichtsbehinderung und wird bald sterben, und dann ist alles gut. Aha, denke ich, ziehe mir den Schnaps rein und denke weiterhin, dass es schon seltsame Existenzen gibt. Ich wünsche der Narbenfrau alles Gute und bedanke mich artig für das Schnapsding, das sich in meinem Gehirn dreht.
Ich suche Petra in der Menge. Sie wird umtanzt von vier dummen Bauern. Eine Art Begattungstanz zu einer Band namens Erasure. Waren die 80er wirklich so scheiße, musikalisch gesehen? Wie es scheint schon. Die Bauern haben um Petra einen Kreis gebildet, Petra hat gut einen auf und flirtet auf Teufel komm raus. Und der kommt raus, wartet nur ab.
Jetzt will ich auch mal gute Laune haben. Das sind hier nicht meine Leute, aber ich kann ja mal gucken, zumindest sekundenweise Spaß zu haben. Da kommt einer an. Mit zwei Getränken. Stellt eins neben mich, die Ausgeburt eines Proletencocktails. Er stellt sich vor, heißt Günther, ist Landschaftsgärtner und Single. Ich lüge ihn ein wenig an und bin irgendwann Anwältin von McDonald's. Er schnallt es nicht. Wir beginnen eine vollkommen unglaubliche Unterhaltung. Er erzählt mir vom Fußball, von Mutterboden und von seiner Mutter. Er kann mir nicht in die Augen sehen. Er fühlt sich klein und für ihn ist es schon ein Erfolg, neben mir ein Getränk zu haben. Ich baue Pseudovertrauen auf. Günther nimmt jedes Signal dankbar an. Jetzt beginnt er mich anzufassen. Seine klebrigen Finger auf meinem Unterarm. Bah! Aber jetzt kommt meine Vergeltung. Ich fahre ihm durch die Haare und kraule zärtlich seinen Nacken. Jetzt will er mich küssen, doch so weit lasse ich es nicht kommen, frage aber: «Hast du Lust, mit mir zu schlafen?» Geilheit im Auge bei ihm. Das ganze, ihm zur Verfügung stehende Blut läuft in seinen dummen Schwanz und er stottert: «Ja, eh, ja klar!» «Kann ich mir vorstellen», sag ich, trinke meinen Cocktail in einem Zug aus und verschwinde aus seinem Blickfeld. Der Landschaftsgärtner fällt in sich zusammen. Das finde ich mehr als lustig.
Ich gehe zum Klo. In einer der Klozellen wird gefickt. Ich erkenne Petras Stimme. Sie lässt sich von einem Bauern ficken. Wie schön. Ich schaue mich im Spiegel an. Mein Gesicht wird auch immer älter.
Irgendwann fahren wir nach Hause. Was mich und meine Freundin unterscheidet, ist die Definition von Spaß, den man mit dreißig noch haben kann.
Wir fahren durch die Nacht. Günther wird sich in zwei Tagen umbringen. Er wird ein Seil um einen Baum spannen, es durch seinen Kofferraum ziehen, um seinen Hals winden und dann Gas geben ... und gespannt sein, in welchen Gang er denn kommt. Das hat er mir eigentlich erzählt. Der Typ ist so alt wie ich.
Schlachtfest
... we came back
to the town
saw toreros
and we drowned our love
in the blood we saw
(fiesta!) …
Phillip Boa and the Voodooclub –
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