0422 - Der Kopfjäger von Manhattan
Am Sonntagabend begannen für Sandra Mitchell die aufregendsten Tage ihres Lebens. Als ihr Zug in die Penna-Station einlief, sah sie einen Mann in einem marineblauen Trenchcoat hinter einer Gepäckkarre verschwinden. Gleich darauf tauchte er hinter dem kleinen elektrischen Führerstand der Karre wieder auf.
Sandra Mitchell hob vor Aufregung das Stupsnäschen, schnupperte wie ein verspielter Dackel und legte die Stirn gegen das kühle Glas der Fensterscheibe. Kein Zweifel! Der Mann in dem blauen Trenchcoat war Danny Blancher, ihr Freund! Und was er in der Hand hielt, war zweifellos eine Pistole. Oder ein Revolver. Sandra kannte sich mit Faustfeuerwaffen nicht aus.
Was tat Danny auf dem Bahnsteig mit einer Schußwaffe in der Hand?
Und warum versuchte er, sich hinter der Gepäckkarre zu verstecken? Wenn er sie vom Zug abholen wollte, brauchte er doch keine Pistole?
Die Bremsen quietschten laut. Der Zug kam langsam zum Stehen. Schon schlugen Türen, und das Brausen und Gelärm des riesigen Bahnhofs drang in die offenstehenden Abteile.
»Pennsylvania Station, New York City«, dröhnte eine Stimme irgendwo aus einem Lautsprecher.
Sandra sprang hinab auf den Bahnsteig, ergriff die Tragschnur ihres Campingbeutels und lief quer über den breiten Bahnsteig, bevor die Menge der aus den hinteren Wagen ausgestiegenen Reisenden ihr den Weg versperren konnte. Nun war sie auf der anderen Seite der Gepäckkarre, und der Mann in dem blauen Trenchcoat wandte ihr den Rücken zu. Er hatte den Kopf gesenkt und tat irgend etwas mit den Händen, was sie nicht sehen konnte. Sie blieb ungefähr zwei Schritte hinter ihm stehen und rief:
»Danny! He, Danny!«
Er fuhr herum. In der rechten Hand hielt er einen ungewöhnlich langläufigen Revolver mit kantigem Lauf. Sandra hatte bisher immer geglaubt, die Läufe aller Schußwaffen müßten rund sein, und so blickte sie verwundert auf das matt schimmernde, blauschwarze Metallstück eines Harrington
& Richardson Revolvers vom Modell Ultra Sidestick 939. Ihr fiel die schmale Ventilationsschiene auf dem Lauf ebenso auf wie die Tatsache, daß aus dem unteren Griffende so etwas wie ein Schlüssel herausragte. Aber alle diese kleinen Besonderheiten nahm sie nur in ihrem Unterbewußtsein auf, ohne zu ahnen, wie bedeutungsvoll sie einmal werden sollten.
»Danny, was tust du denn da?« fragte sie, während sie den Blick ihrer weit aufgerissenen, eisblauen Augen immer noch auf den Revolver gerichtet hatte.
Danny Blancher sah sich blitzschnell um. Er stopfte den Revolver in die ausgebeulte Manteltasche, trat einen Schritt auf Sandra zu und legte ihr die Hand auf die Schulter.
»Um Gottes willen, Sandra!« rief er leise. »Was willst du hier? Ich bin im Dienst! Gleich kann es hier heiß hergehen! Verschwinde von hier, beeil dich! Los, mach, daß du wegkommst! Ich rufe dich später an. Aber jetzt geh, bitte, geh!«
Danny sah sie nicht an, während er hastig auf sie einsprach. Er blickte über die niedrige Karre hinweg zu dem Strom der Reisenden, der sich langsam den Bahnsteig entlangschob und sich vorn an den Sperren auffächerte.
»Wartest du auf jemanden?« fragte Sandra Mitchell und runzelte unwillig die Stirn. Danny war also nicht gekommen, um sie vom Zug abzuholen, nein, seine Aufmerksamkeit galt ganz offensichtlich einem anderen Menschen, der mit dem gleichen Zug gekommen sein mußte.
»Du machst, mich wahnsinnig, wenn du weiter hier herumstehst, Sandra! Ja, ich warte auf jemanden. Auf Johnny Miller! Johnny Miller, verstehst du? Und nun sei endlich ein liebes Mädchen und geh hier weg! Geh, so schnell wie möglich! Es bleibt dabei, ich rufe dich nachher an. Aber, bitte, geh jetzt!«
Die Dringlichkeit seiner Worte brachten Sandra dazu, ein wenig beleidigt mit den Achseln zu zucken, sich den Campingbeutel über die Schultern zu werfen und sich abrupt umzudrehen.
Na schön, dachte sie ein bißchen ärgerlich, du bist im Dienst. Trotzdem hättest du mir sagen können, daß du dich über meine Rückkehr freust. Es ist seit Wochen das erste Mal, daß ich allein übers Wochenende weggefahren bin, und du hättest zeigen können, daß dich meine Rückkehr freut. Alter Holzklotz! Männer -— einer wie der andere.
Sie ließ sich in dem Strom der Reisenden langsam vorwärtstreiben, passierte geistesabwesend die Sperre und kam bis ungefähr in die Mitte der großen Bahnhofshalle.
Johnny Miller, dachte sie. Danny sprach den Namen aus, als müßte jedermann auf Anhieb wissen, von wem er spricht. Aber
Weitere Kostenlose Bücher