Unerwünscht: Drei Brüder aus dem Iran erzählen ihre deutsche Geschichte
als ich für euch entschied, den Iran zu verlassen. Dieses Ding, das deine Kinderschrift trägt, hat miterlebt, wie euer Schicksal für viele Jahre in den Händen der deutschen Behörden lag. Eigentlich habt ihr seit der Kindheit nicht über euer Leben entscheiden dürfen. Jetzt könnte das vorbei sein. Diese Holzscheibe soll Zeuge sein, dass ich dich nicht zwinge, an dieser Uni zu bleiben.«
Ich nahm die Scheibe und strich mit der Hand darüber, als wollte ich eine Staubschicht abwischen. Madar hatte recht. All die Jahre über war mein Leben von anderen bestimmt worden. Und auch als ich einmal die Chance hatte, eine wichtige Entscheidung selbst zu treffen und mir selbst eine Hochschule auswählen durfte, ließ ich mich von den Umständen blenden. Mit der Immatrikulation an der WHU hatte ich mein Leben wieder aus der Hand gegeben. An einer Uni, die den Anspruch hat, zur Elite zu gehören, die beste unter ihresgleichen zu sein, muss sich jeder umso rigoroser an das vorgegebene Ziel und an die Spielregeln halten. Es gibt dort keinen Platz für abweichende Entscheidungen. Und genau deswegen war ich kurz davor, meine Individualität aufzugeben.
Damals, als Richter, Beamte und Sachbearbeiter uns immer wieder mit Ablehnungen enttäuschten, waren wir gezwungen zu lächeln, uns nichts anmerken zu lassen. Wir waren traurige Schauspieler. Damals hatten wir keine andere Wahl, aber heute konnte ich meinen eigenen Weg einschlagen. Dieses Mal würde ich mir die Chance nicht entgehen lassen. Meine Entscheidung stand fest: Ich würde mein Studium an der WHU abbrechen.
Ich wusste nicht, wie dieser eigene Weg genau aussah, aber eines wusste ich. Er führte mich hin zu den Menschen, die ich liebte: zu meinen Freunden und vor allem zu Milad, Masoud und Madar.
Taschakkor – Dank
Um ihre Privatsphäre zu schützen, tragen alle Menschen, die wir im Buch erwähnen, Pseudonyme. Im Dienste der Erzählung und ihrer Kürze mussten wir in manchen Fällen die Eigenschaften und Handlungen der Personen zusammenfassen oder leicht vereinfachen, ebenso gelegentlich Zeiträume straffen. Der Wahrheitsgehalt unserer Geschichte bleibt davon unberührt. Ansonsten galt uns ein altes iranisches Sprichwort, das auf den großen persischen Dichter Sa’di zurückgeht, stets als Mahnung: Sei auf der Hut, dass dich die Zunge nicht verderbe. Das Unheil, das die Zung’ verschafft, verjähret nicht!
Dass wir drei überhaupt dieses Buch schreiben konnten, verdanken wir euch allen, die ihr uns geholfen habt. Den besten Beweis dafür, wie unermesslich wichtig ihr für uns wart, haltet ihr gerade in euren Händen. Damit meinen wir nicht nur alle, die direkt an der Entstehung von Unerwünscht beteiligt waren. Vor allem gebührt unser Dank jenen Menschen, ohne die wir die Hürden und Widrigkeiten seit unserer Ankunft in Deutschland nicht hätten überwinden können. Mit euch haben wir ein neues Zuhause gefunden; ihr seid aber auch der Grund, warum wir es geschafft haben, überhaupt hierzubleiben und unsere Geschichte zu erzählen.
Nun würde eigentlich eine Liste unzähliger Namen folgen. Doch es sind zu viele, die uns einfallen. Gleichzeitig möchten wir niemanden vergessen, keinen Namen an falscher Stelle, zu früh oder zu spät erwähnen. Deshalb rufen wir laut und dreistimmig TASCHAKKOR . Wir sind sicher, dass unser Ruf euch erreichen wird – denn ihr wisst, wer ihr seid.
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