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Unsere Oma

Unsere Oma

Titel: Unsere Oma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilse Kleberger
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betrachtete Brigitte von der Seite. Warum wiederholte Oma das immerfort? War Brigitte wieder in sich zusammengesackt? Nein, sie saß steif wie ein Besenstiel.
    Oma fummelte an einem Kasten herum, der an ihrer Seite stand, und dann ging es weiter: »Sitz gerade, wasch dir die Hände...«
    »Die Nadel war aus der Rille gesprungen«, flüsterte Jan und erklärte auf Karolines erstaunten Blick: »Oma hat die Anstandssprüche auf eine Grammophonplatte aufnehmen lassen und spielt sie uns immer wieder vor. Meinst du, sie möchte das x-mal am Tag sagen?«
    Mitten im Satz stellte Oma das Grammophon ab und rief: »Genug für heute!« Worauf alle vier Kinder im Nu behaglich die Rücken krümmten.
    Frieder und Karoline konnten sich nicht satt sehen an Oma. Klein und zierlich saß sie in ihrem großen Ohrenstuhl. Ihr Gesicht sah wie ein runzliger Apfel aus. Die Brille saß vorn auf der Nasenspitze. Das schneeweiße Haar war oben auf dem Kopf zu einem Knoten zusammengedreht. Oma trug ein langes, schwarzes Kleid mit einem weiten Rock und ein schwarzes Samtband um den Hals. Auf ihrer linken Schulter hockte ein weißer Kater und versuchte, um ihren Kopf herum auf die rechte Schulter zu schielen, wo ein blaugrüner Wellensittich herumhüpfte und munter schwatzte.
    »Wasch dir die Hände!« quäkte er, stolz, daß auch er etwas vom Anstandsunterricht gelernt hatte.
    Oma reckte sich und gähnte. »Ganz steif wird man vom langen Sitzen.« Sie wickelte ihr Strickzeug zusammen, packte es in einen Nähkorb, der auf dem Fensterbrett stand, und legte die Brille dazu.
    »Muß mir mal ein bißchen Bewegung machen!«
    Jan stieß Karoline an. »Jetzt kommt’s!«
    Oma kam mit großen Schritten auf ihn zu und setzte den Kater Fridolin auf seinen Schoß. Der Kater miaute mißmutig und blickte zornig den Wellensittich an, der auf ihrer Schulter bleiben durfte. Sie zog unter der Bank ein Paar Rollschuhe hervor, setzte sich neben Frieder und schnallte sie an ihre schwarzen Schnürstiefel.
    »Wenn man alt wird, muß man aufpassen, daß man nicht einrostet«, sagte sie energisch. »Ich kann wohl sagen, daß mich dieser Sport jung erhält.« Und schon rollte sie kreuz und quer durch den Raum, zog elegante Bögen, wiegte sich und hob ein Bein in die Luft. Ihr langer schwarzer Rock flatterte und rauschte; ab und zu sah man einen roten Wollunterrock hervorleuchten. Der Wellensittich krallte sich an ihrer Schulter fest.
    »Bravo, bravo!« kreischte er, und die Kinder fielen ein. »Bravo, bravo!«
    Oma lächelte geschmeichelt, drehte noch ein paar Runden und hielt an. Unter dem lauten Klatschen der Kinder verbeugte sie sich zierlich.
    »Darum ist das Zimmer so leer«, sagte Karoline, während Oma weiter umherlief. »Aber wo schläft sie denn?«
    Jan zeigte auf die Leiter. »Oben!«
    »Auf dem Boden? Erlaubt denn das euer Vater?«
    Jan zuckte die Achseln. »Oma will es so, und wenn Oma was will, kann man nichts machen.«
    Jetzt wurde die Tür aufgerissen, und Ingeborg, Jans älteste Schwester, stürmte herein. Sie war erhitzt und zerzaust. In der einen Hand hatte sie einen Teller mit Brei, mit der anderen zerrte sie einen etwa dreijährigen Jungen hinter sich her. Er wand sich wie ein Aal und brüllte:
    »Nein, nein, kein’ Brei, will kein’ Brei, nein, nein, nein!«
    »Oma«, keuchte Ingeborg, »er will und will nicht essen! Nur du kannst es schaffen.«
    Oma schüttelte mißbilligend den Kopf. »In diesem Haus kann man nicht einmal in Ruhe Sport treiben!« Sie schnallte die Rollschuhe ab, ergriff den Teller und zog den Knirps zu ihrem Ohrenstuhl. Dann klemmte sie ihn zwischen ihre Knie und hielt ihm den Löffel vor den Mund.

    »Ich wiiill nicht!« schrie der Junge.
    »Aber Peter, du willst doch ein großer Mann werden, da mußt du essen.«
    »Nein, will kein Mann werden!«
    »Nur einen Löffel Brei für den Papa und einen für Jan.«
    »Neiiiin!«
    »Also paß auf, du ißt zwei Löffel und dann gibt’s ein Bonbon, nur zwei kleine Löffel Brei!«
    »Und dann ein Bonbon?«
    »Ja.«
    Peter hörte auf zu weinen und sperrte den Mund auf. Oma fing an zu zählen: »Zehn, neun, acht, sieben, sechs, fünf, vier, drei, zwei.« Bei jeder Zahl schob sie einen Löffel voll Brei in den geöffneten Mund. Nun war der Teller leer, und Oma kramte aus ihrem Nähkorb ein Himbeerbonbon und steckte es in den doppeltweit aufgerissenen Mund.
    Auch die anderen Kinder erhielten jedes ein Bonbon. Karoline und Frieder verabschiedeten sich mit Knicks und Verbeugung und liefen nach

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