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Unsichtbare Blicke

Unsichtbare Blicke

Titel: Unsichtbare Blicke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Maria Reifenberg
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Becher mit dem Wasser. «Geht das?», flüsterte ich.
    Sie verzerrte die Lippen ein wenig. Es sollte ein zustimmendes Lächeln sein, das ich jedoch mehr in ihren Augen las. Still saß sie da, während ich den Raum noch einmal durchsuchte.
    Es gab fast nichts, was als Waffe dienen konnte, abgesehen von einem Messer und einer Gabel. Lächerlich, das war lächerlich! Er war mindestens dreißig Zentimeter größer als ich, wog bestimmt das Doppelte. Ich konnte ihn mit dem Schreibtischstuhl rammen oder ihm das Laptop an den Kopf werfen, ihn mit den restlichen Getränkedosen bombardieren, sobald er die Tür öffnete. Wenn er sie öffnete.
    Lächerlich, es war einfach lächerlich.
    Noch einmal stocherte ich mit der Spitze der Klinge am Schloss des Holzschranks herum. Mit einem leisen
Pling
brach sie ab. «Verdammt», schrie ich, «verdammt, verdammt, verdammt!» Ich sackte neben dem Schrank zusammen, vergrub das Gesicht in den Armen und schluchzte.
    «Josie», hörte ich die Gestalt auf dem Sofa.
    Ich hob den Kopf.
    Sie war aufgestanden und kam mit unsicheren Schritten auf mich zu.
    «Nicht weinen», sagte sie. «Nicht weinen. Den Gefallen tun wir ihm nicht.» Sie legte mir die Hand auf den Scheitel. «Du hast schöne Haare», seufzte sie. Obwohl ihre Stimmbänder immer noch rau schmirgelten, verströmten diese Worte etwas Weiches. «Den Gefallen tun wir ihm nicht», wiederholte sie, hustete und fügte mit einer Geste zu den Monitoren hinzu: «Wir sind jetzt zu zweit. Wir schaffen das. Ich bin Lena.»
    Auf einem der Monitore bewegte sich etwas. Er war auf dem Weg zu uns.

63
    Er erfasste mit einem Blick, bevor er das Licht eingeschaltet hatte, dass etwas nicht stimmte. Der schmale Lichtstreifen, den die Innenbeleuchtung des Kühlschranks auf den Boden warf, verriet es ihm. Das Gerät stand einen winzigen Spaltbreit offen.
    Das passierte ihm nicht, niemals kam das vor. Jedes Mal, wenn er den Raum verließ, kontrollierte er diese Dinge, es gab keine Ausnahme. Er hatte die Wasserzufuhr am Haupthahn unterbrochen, die Riegel an den Zimmern überprüft, das Schloss am Schrank, der seine Waffen beherbergte, und zum Schluss warf er immer noch einen Blick rundherum. Der offene Kühlschrank wäre ihm aufgefallen.
    Er schaltete das Deckenlicht an. Der Laptop stand offen; er hatte ihn zugeklappt. Das Sofakissen mit den Sonnenblumen darauf lag auf dem Boden, die Monitore: alle schwarz.
    Er drückte den Power-Schalter des großen Flatscreens. Nichts, schwarz, blind. Er beugte sich über die Tischplatte, um die Anschlüsse zu überprüfen. Jemand hatte sie herausgerissen. Sie wieder zu verkabeln, lohnte sich nicht; er sparte sich die Mühe.
    Der Zugang oben an der Erdoberfläche war unberührt, das Schloss unversehrt gewesen; ebenso der Riegel an der Tür zum Überwachungsraum. Sie musste noch hier sein. Aber wie war sie in diesen Raum gelangt? Er hatte ihr Zimmer verschlossen, verriegelt, er war sich sicher.
    Ein paar Sekunden verharrte er still und lauschte. Nichts, aber das war auch kein Wunder. Diese unterirdische Welt des Eiskellers schluckte alle Geräusche, selbst wenn jemand schrie und tobte, drang kaum etwas bis in den nächsten Raum. Deshalb war er so praktisch gewesen, deshalb hatten sie damals den Bunker daraus gemacht. Man hatte sich stundenlang die Seele aus dem Leib brüllen können, tagelang, nächtelang – bis nach oben war nichts gedrungen, kein Mucks.
    Spätestens nach dem zweiten Aufenthalt im Bunker hatten es alle gewusst. Schrei, so viel du willst. Schrei dir die
Seele aus dem Leib
. Wenn du noch eine hast. Lena hatte am Anfang auch geschrien. Sie war anders als ihre Tochter, die ihn mit ihrem Schweigen bestrafen wollte.
    Er atmete ein paarmal tief durch, zückte den Schlüssel und öffnete den Holzschrank. An die Waffen waren sie nicht rangekommen, das war gut.
    «Hier, Frau van Wahden», murmelte er, «hier hat er sie. Ordnungsgemäß aufbewahrt, wie sich das für ein ordentliches Mitglied der Sankt Sebastian Schützenbruderschaft gehört. Kein Zugriff für Unbefugte.» Er lachte und nahm die Waffe aus der Halterung.
    Die doppelläufige Schrotflinte gehörte nicht zur Ausstattung eines Sportschützen, aber Monks Lieferanten war sowieso schnuppe, ob man irgendein Formular unterschrieben hatte. Nur Bares ist Wahres, cash and carry, aber Vorkasse bitte. Er überprüfte die Patronen im Lauf des Gewehrs. Es war geladen. Er stopfte sich noch vier Ersatzpatronen in die Taschen, dann ging er in den Flur, sah die offene

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