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Unsichtbare Blicke

Unsichtbare Blicke

Titel: Unsichtbare Blicke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Maria Reifenberg
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die Gelegenheit, Felix Diuso etwas genauer unter die Lupe zu nehmen. Es gab keine Regeln mehr oder neue, ich wusste es nicht. Wir hatten schließlich schon aufeinandergelegen.
    «Kommst du?», fragte ich.
    Felix nickte. «Willste meine Jacke?»
    In other words, hold my hand, dachte ich.
    Er war so süß, überließ mir die Jacke, obwohl es regnete. Der weiß noch, was sich gehört, hätte Frau Sudermann gesagt.
    Felix plauderte über Musik, über das Konzert, von dem er gerade kam, eine Clubsession von einer Band, deren Namen ich nicht kannte, und einmal, als ein durchgedrehter Typ in einem kastigen Auto an uns vorbeiraste, riss er mich am Arm zur Seite.
    «Scheiß Lehrer», brüllte er.
    Obwohl das alles blitzschnell passierte und wir kaum erkennen konnten, was und wer uns da fast um die Ecke brachte, hatte Felix die Automarke erkannt.
    «Volvo, Lehrerporsche mit viel Platz und so sicher», er dehnte das
so
weit in die Länge, «jedenfalls, wenn du drinsitzt! Spießerkarre.»
    Er hielt meinen Arm immer noch. Sein Ausbruch war so plötzlich und heftig, und er drückte, fest, zu fest.
    «Du ziehst heute das Unglück wohl an», sagte er wieder ganz sanft und lächelte.
    «Oder du?!», war meine Antwort. Kommt drauf an, wie man es sieht, war jedoch mein Gedanke. Den Arm bewegte ich nicht, keinen Millimeter.
    Ich wusste, es entsprach genau dem, was mein Vater erwartete, wenn ich abends unterwegs war, aber ich wünschte mir, dass Felix wenigstens einen klitzekleinen Versuch startete. Tat er nicht. Er hielt einfach meinen Arm und spielte verlegen mit der Zunge an seiner Unterlippe.
    «Man sieht dich so selten, irgendwo …», sagte er.
    «Wir sehen uns jeden Tag in der Schule.»
    «Ja, klar, aber ich meine, so draußen, anderswo, du weißt schon.»
    Oh ja, ich wusste.
    «Es ist ziemlich weit nach … überall», sagte ich.
    «Hast du kein Fahrrad?»
    «Doch.»
    «Na also.»
    «Meine Eltern sind ziemlich … ängstlich.»
    «Alle Eltern sind ängstlich.»
    Was wollte er hören? Vielleicht: Ich habe die beschissen strengsten Eltern dieser Welt und nichts als Ärger, wenn ich nach acht Uhr irgendwo abhänge und mit den Jungs einen zische, wie Sarah es nannte.
    Ich schwieg eine Weile. Er schwieg auch.
    «Bin vielleicht nicht so ein guter Unterhalter», sagte er nach einer gefühlten Ewigkeit. «So mit Reden und so.»
    Im selben Moment nahm er zwei Schritte Anlauf, schwang die Arme nach vorne und legte die nächsten paar Meter auf den Händen gehend zurück. Seine Jacke hing ihm dabei über den Kopf, die Umhängetasche schlitterte nach unten und verhedderte sich zwischen den Ellbogen, was sein Kunststückchen nach wenigen Schritten beendete. Ich reichte ihm die Hand, um ihm auf die Beine zu helfen, aber er federte sich einfach selbst in den Stand, klopfte seine Klamotten und die Hände ab, rückte die Tasche zurecht und stapfte weiter.
    «Man tut, was man kann», sagte er. Es klang nicht eingeschnappt, sondern ganz ernst, als wollte er sagen, das war das, was ich gerade konnte, und ich hoffe, es ist bei dir gut angekommen.
    Kurz vor der Einfahrt zu unserem Haus setzte er sich auf den Holzzaun der großen Pferdeweide des Reiterhofs nebenan. «Ich warte, bis du im Haus bist», sagte er.
    «Okay», erwiderte ich und streckte ihm die Hand entgegen.
    Er drückte sie. Seine Hände fühlten sich rau und trocken an und waren erstaunlich kräftig und groß. Als hätte er meine Gedanken erraten, sagte er: «Unser Nachbar hat eine Schreinerei, ich helfe manchmal.»
    «Verstehe», antwortete ich.
    Er nickte.
    «Na dann, vielen Dank für die Jacke.»
    Ich reichte sie ihm. Bevor er danach greifen konnte, zog ich sie zurück.
    «Oder vielleicht soll ich sie … waschen?»
    «Geht schon», sagte er und nahm sie mit beiden Händen.
    «Gut», sagte ich.
    Er winkte noch einmal, als ich auf unser Haus zuging. Ich traute mich nicht, mich ein zweites Mal umzudrehen, tat es dann aber doch. Ich sah, wie er sein Gesicht in die Jacke drückte, und drehte mich sofort wieder um. Mit einem Lächeln auf den Lippen rannte ich auf das Haus zu.
    An unserer Haustür musste ich klingeln. Mein Schlüssel ließ sich nicht drehen. Es hatte sich ausgelächelt. Bitte, flehte es in mir, bitte lass mir diesen Abend, aber ich wusste, ich würde kein Gehör finden.
    Mein Vater öffnete. Der Geruch von Rosenkohl und gebratenem Schweinebauch zog nach draußen.
    «Warum, Josie?»
    Diese Frage diente nicht wirklich dazu, den Grund meiner Verspätung herauszufinden.
Gab

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