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Unsichtbare Kräfte

Titel: Unsichtbare Kräfte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Dominik
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Erinnerung an diese Nacht stand lebendig vor Arvelins geistigem Auge. Das heilige Versprechen, das Vivian mit ihrem letzten Atemzug ihm abgenommen, nichts von allem den Eltern zu verraten, ihnen die Schande zu ersparen - er hatte es gehalten.
    Arvelin stieß die Tür zu der Hütte auf. Im Lichtschein des Herdfeuers sah er das alte Fischerweib an einer Wiege sitzen, in der ein kräftiger Knabe lag. Er beugte sich über das Kind, schaute ihm lange ins Gesicht. Suchte fast ängstlich die Züge Vivians wiederzuerkennen, suchte lange - frohlockte innerlich, als die Alte rief: »Genauso sah die Mutter aus, als sie in diesem Alter war!«
    Die Frau kramte in dem halbdunklen Hintergrund der Hütte allerhand zusammen, machte ein Bündel daraus und übergab es Arvelin. Der drückte ein paar Banknoten in die runzlige Hand, wandte sich zur Wiege, hüllte ein Tuch um das Kind. Die leichte Last auf dem Arm, verließ er die Hütte.
    *
    An der Ostseeküste unweit der Grenze auf einer Anhöhe stand das Schloß der Freiherrn von Winterloo. Ein Stück landeinwärts der große Wirtschaftshof, an den sich die ausgedehnten Fluren schließen. Im oberen Turmgemach nach der Seeseite zu zwei Männer im Gespräch.
    »Ich weiß nicht, lieber Arvelin, weshalb du dir meinen Vorschlag noch lange überlegen willst.« Freiherr von Winterloo deutete durch die offene Tür auf einen Saal, der wie ein Laboratorium eingerichtet war. »Hier findest du alles Notwendige für deine Arbeiten! Du sagst ja selbst, daß du durch die kleine Erbschaft, die dir kürzlich zufiel, ziemlich unabhängig bist. Die Jagd nach einer beamteten Stelle hast du doch nicht mehr nötig.« Er streckte Arvelin die Rechte entgegen. »Schlage ein, lieber Freund! Eine größere Freude könntest du mir nicht machen, als wenn du dauernd hier bei mir bliebest!«
    Der andere zögerte noch immer. Der laute Ruf einer Knabenstimme vom Garten her ließ ihn aufhorchen. Der Freiherr runzelte die Stirn.
    »Wieder dieses Kindergeschrei! Habe ich nicht der alten Droste streng befohlen, alle Störungen von diesem Teil des Gartens unter meinen Fenstern fernzuhalten?«
    Arvelin hatte Winterloos Hand ergriffen, drückte sie und rief: »Ich bleibe!«
    Der Freiherr umarmte seinen Freund. »Mir ist’s, als wäre ich um zehn Jahre jünger geworden!«
    Arvelin wollte sprechen, da scholl wieder von unten die Knabenstimme. Der Freiherr hastete ärgerlich zur Tür.
    »Die Alte ist zur Stadt gefahren. Und der Bengel benutzt nun die Stunden der Freiheit, um sich im Garten auszutoben - das heißt, uns zu stören!« erklärte er.
    »Nein, Winterloo - mich stört er nicht! Ich freue mich darüber. Ein hübscher, frischer Junge! Ich sah ihn gestern, als ich die alte Droste, deine Haushälterin, begrüßte. Es ist ihr Sohn - oder ihr Enkel?«
    Der Freiherr schüttelte den Kopf. »Nein. Doch wenn du so viel Interesse daran nimmst, will ich dir sein sonderbares Schicksal erzählen. Von der Alten selbst würdest du nichts erfahren. Sie behandelt ihn wie ihr eigenes Kind, hat ihm ja auch ihren Namen gegeben.«
    »Du machst mich neugierig, Winterloo! Erzähle bitte! Laß mich mehr über den Jungen hören!«
    Die beiden setzten sich. Der Freiherr begann: »Es mögen jetzt an die sieben bis acht Jahre her sein, daß der Knabe in mein Haus kam. An einem stürmischen Herbstmorgen. Schon seit Tagen wagte sich kein Fischer aufs Meer. Ich war wohl eben aufgestanden, da hörte ich vom Ufer her lautes Geschrei. Ich lief hinaus, schrak zusammen: Ein Frachtschiff weit draußen in der See, stand in Flammen! Kurz darauf traf uns der Schall einer furchtbaren Explosion. Und ein paar Minuten später waren die brennenden Reste des Schiffes im Meer versunken.
    Lange standen wir, starrten über die gischtenden Wogen nach der Unglücksstätte. Da plötzlich ein Schrei vom Turm her, wo der alte Droste dem Schauspiel zugesehen: >Ein Boot kommt an!<
    Die hohen Wellen versperrten uns jede Aussicht. Ich eilte selbst in das Turmzimmer, nahm das große Stativrohr zu Hilfe, schaute in die Richtung, in der Droste das Boot erblickt hatte. Und fand es bald. Es trieb dem Strande zu. Und immer wenn es in ein Wellental hinabschoß, glaubte ich am Boden ein Bündel zu sehen.
    So kam’s heran. Kurz bevor es den Strand erreichte, eilte ich hinab.
    >Bark Anne Mary< rief ein Fischer mir zu. >Anscheinend ein englisches Schiff, das da unterging!<
    Ich wollte mich zum Hause wenden. Da plötzlich ein vielstimmiger Schrei aus der Menge. Droste hatte das Bündel

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