Unsichtbare Kräfte
kostbare Fracht ist zum Teil schon in die Ufertanks übergeleitet. Jetzt - ein kurzes Aufblitzen am Rumpf des ersten Schiffes ... des fünften, des achten! Laute Schreie der Besatzungen. Am Ufer wird man aufmerksam, Lichter blitzen auf. Riesige brennende Ölmassen ergießen sich aus den getroffenen Schiffsleibern. Die lange Front des Seawall ist im Nu ein Flammenmeer, das sich mit Blitzesschnelle über die ganze Südfront der Bay ausbreitet.
Schon brennen die Docks! Die verängstigten Einwohner, aus dem Schlaf gescheucht, stürzen auf die Straße. Da plötzlich ein donnerähnliches Getöse. Die riesigen Munitionsmengen, die an den Kais lagern, explodieren.
Feuerwehr und Militär jagen zur Unglücksstätte. Noch weiß man nicht, was geschehen, übersieht kaum die Größe der Gefahr, da stehen schon die langen Uferstraßen mit den langen Lagerhäusern und hinter ihnen die stolzen Geschäftspaläste in lodernden Flammen.
Vergeblich alle Versuche, sie mit menschlichen Mitteln zu bekämpfen. Die Glut greift auf die innere Stadt über, überspringt ganze Viertel. Tausende, die sich noch retten wollten, sind plötzlich abgeschnitten, auf allen Seiten von brennenden Häuserblocks umgeben.
Erst in der Morgendämmerung legte sich die Gewalt des Orkans. Die Strahlen der aufgehenden Sonne beleuchteten ein grausiges Bild. Der Verlust so ungeheurer Werte jetzt mitten im Kriege war doppelt schwer zu ertragen. Bildete doch Bahia das Hauptsammellager für die technische Kriegführung. Auf den Kriegsschauplätzen machte sich der Ausfall empfindlich bemerkbar.
Wie war das Unglück entstanden? Man wollte nicht glauben, daß etwa ein Feind durch die hundertfach gesicherte Minensperre gebrochen sei. Die Berichte aus Bahia selbst waren so unklar, daß man sich kein sicheres Urteil bilden konnte. Da brachte am Abend des folgenden Tages der amtliche Heeresbericht aus Caracas folgende Nachricht: »Gestern nacht gelang es unserem U-Boot 48, in den Hafen von Sao Salvador einzudringen und die beiden Schlachtschiffe >Columbus< und >Pizarro< sowie zwölf Tankschiffe zu versenken.«
Die Welt verhielt den Atem.
Wer war es?
*
Ein paar Stunden später: Der Name Robert Wildrake im Munde jedes Brasilianers. Er der Täter! Der Verbrecher! Millionen Flüche und Verwünschungen wurden auf sein Haupt geschleudert. Schon mehr als einmal hatten venezolanische Heeresberichte kühne Taten des Kapitäns Wildrake erwähnt. Man wußte Bescheid über ihn. Wußte, daß sein Großvater James Wildrake aus Schottland nach Venezuela eingewandert war und dort umfangreiche Ländereien erworben hatte. Dessen Sohn hatte eine Tochter des Generals Alvarado geheiratet und die venezolanische Staatsangehörigkeit angenommen. In Wildrake-Hall, am Nordufer des Rio del Caroni, war Robert Wildrake geboren.
Wildrake-Hall! Ednas Gedanken flogen dorthin. Wie mochte es da aussehen? Die Brasilianer würden mit dem Besitztum ihres Feindes wohl ebensowenig glimpflich umgehen, wie sie ... Ihre Gedanken stockten. Ein harter, bitterer Zug grub sich um ihren Mund. Wie konnte man so unmenschlich, so grausam handeln? Wer hätte je annehmen können, daß der Feind ungeschützte Frauen, den kranken Vater aus dem Hause reißen, in Gefangenschaft fortschleppen würde? Gewiß, sie waren gewarnt. Lag doch Wildrake-Hall in der Gefahrenzone. Aber niemand hätte für möglich gehalten, daß das geschah, was in jener Schreckensnacht vor sich ging, als ein Geschwader landete und Wildrake-Hall umstellte.
Die Eltern - Maria, Roberts Braut - sie, Edna, selbst - gefangen fortgeführt unter dem Vorgeben, sie hätten gegen die Sicherheit der Besatzungstruppen konspiriert. Der kranke Vater dahingesiecht - vor zwei Wochen hatten sie ihn begraben. Maria, die Ärmste - wieviel mußte sie gelitten haben, bis die Tränen ihr Augenlicht verdunkelten und man sie endlich mit der sterbenden Mutter heimsandte ...
Ein Schaudern überlief Edna bei dem Gedanken an ihre eigene harte Behandlung in der ersten Zeit der Haft. Das erste freundliche Wort, das sie in der Gefangenschaft gehört, kam aus dem Munde Winterloos. Doch wie lange würde er noch bleiben? Täglich konnte er abgelöst werden.
Wie in Gedanken öffnete sie den Fensterflügel bis zur Wand, trat vor die blanke Scheibe, schaute hinein. Mit ein paar kurzen Bewegungen ordnete sie die Fülle ihres blonden Haares. Lächelte dann über sich selbst. Ein Restchen Eitelkeit also selbst jetzt noch - trotz bitterer Gefangenschaft!
Kanonendonner von der Seeseite
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