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Untitled

Untitled

Titel: Untitled Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Bessing
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Flughafens machte ich damals zum letzten Mal eine Erfahrung, die mir durch Wiederholung des Ankunftserlebnisses nie wieder in dieser überwältigenden Form zuteilwurde: Beim Durchschreiten der Glastüren sah ich die Reihe gelber Taxis, gleich darauf wehte vom Freeway das vertraute Wiuhwiuh einer Polizeisirene heran und nach dem langatmigen Brooklyn wurden die Hochhäuser ins Bild gefahren: All das kannte ich aus jedem Winkel, all dies hatte ich hundertmal im Fernsehen gesehen und gehört und nun befand ich mich selbst vor diesem wieder und wieder wiederholten Filmstreifen stehend. Und ich trat durch die offen stehenden Hälften der Glastür schreitend ein.
    Damals war ich nicht allein gekommen. Die Idee zu der Reise stammte von einer Frau, mit der ich damalssozusagen zusammen war – wie wenig das zu bedeuten haben kann, fand ich, fand gezwungenermaßen somit auch sie, im Februar 1994 in einem billigen Hotelzimmer an der Bowery heraus. In den zehn Tagen des Aufenthalts hatten wir viel eingekauft, waren den Broadway hinauf- und hinuntergegangen. Carolin war eine ein Meter fünfundachtzig große Frau mit raspelkurzen, gebleichten Haaren. Sie trug ausschließlich knallfarbene Hosen aus Latex und ihre Brüste waren derart enorm, dass der Reißverschluss ihrer gletscherblauen Daunenjacke sich beim Gehen ruckweise öffnete. Auch ich trug damals meine Haare gebleicht. Die Verkäufer im gerade eröffneten Diesel Megastore machten uns das Kompliment Wow, you so totally look european! Abends gingen wir ins Jackie Sixty, einen Transvestitenklub in der Gansevoort-Street, weil Carolin diese Szene unterhaltsam fand. Da gab es das Pastis noch nicht, das Standard Hotel war noch nicht einmal in Planung, André Balazs hatte das Gebäude in der Mercer Street gar nicht erworben, mit dem er sein Imperium begründen würde. Der Meat Packing District: eine finstere Gegend, in die uns der indische Taxifahrer nur ungern fuhr. Am letzten Tag dieser Reise, vielleicht war es auch der vorletzte, geschah etwas mit mir, das es im Zusammenhang mit Frauen noch mehrmals geben würde, allerdings bekam es Carolin in seiner extremsten Form ab: Mir gingen die Worte aus. Es war nicht so, dass mir nichts einfiel, ich wusste ganz genau, was ich sagen wollte, aber ich brachte es nicht über die Lippen: Geh weg! Fass mich nicht an! Lass mich allein. Ein unerträglicher Zustand. Ganz plötzlich fand ich mich eingeschlossen in meinen Gedanken, die Osmose funktionierte nicht mehr. Sie nahm das hin. Dachte vielleicht, ich sei schlecht gelaunt. Versuchte, mich aufzuheitern, mit Zärtlichkeiten zu entfrosten. Es durchfuhr mich, ich war jedesMal kurz davor, sie anzuschreien. Irgendwann in den zähen Stunden, bevor wir das gelbe Taxi zum Flughafen endlich besteigen würden (und dann noch neun Stunden IcelandAir), legte ich mich auf das Bett und versuchte mich ihrer Zuneigung durch Schlafen zu entziehen, denn zum Glück träumen wir allein. Ich starrte an die Zimmerdecke, als ob sich mein Fluchtweg auftun ließe, aber dort gab es nur den Kunstrasen zu sehen, mit den hineingesteckten Plastikmargeriten und den gelb angesprühten Sperrmüllstühlen, die, upside down angeschraubt, ins Zimmer ragten. Und dann hörte ich sie etwas sehr Unfreundliches zu mir sagen.
    Das ging mir lange nach damals. Ob das eine plausible Erklärung für Senta Kustermann bedeuten konnte? Dass ich sie vor mir selbst in Schutz nehmen wollte? Indem ich mich von ihr zu trennen beabsichtigte.
    Es ist nicht angenehm, sich schlagartig nicht einfach nur seiner Distanziertheit bewusst zu werden, sondern auch des Theaters, dass man zuvor aufgeführt haben musste. Denn wie soll es anders auch möglich sein – eben noch, vor ein paar Stunden, ist man mit dem anderen Menschen in fremde Länder gereist, ist zusammen eingeschlafen und aufgewacht, weiß, wie dieser Mensch atmet, sich die Schuhe zubindet, telefoniert und isst. Schlagartig, so kam es mir jedenfalls immer wieder vor, ist alles weg. Die Vertrautheit von einem Gefühl des nicht Geheuren gefressen. Die Nähe, die vorher noch selbstverständlich war und so viele Male Geborgenheit schenkte, wirkt nun bedrohlich, aufdringlich. Um mich zu schützen –, ausgerechnet vor diesem Menschen, den ich selbst noch vor allem anderen zu beschützen versprach –, ziehe ich mich in Schweigen zurück und hoffe auf Unnahbarkeit. Und alles, was zwischen uns war, das Gute, das Schöne, das Unsagbare auch,ziehe ich dort mit hinein. Dem anderen wird nichts übrig

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