Vaeter und Soehne
sprach als sein Gefährte. Eines Tages, als sie lange ausblieben, ging ihnen Kirsanoff entgegen in den Garten; bei dem Boskett angekommen, hörte er rasche Schritte und die Stimmen der jungen Leute. Sie traten von der andern Seite in das Boskett und konnten ihn nicht sehen.
»Du kennst meinen Vater nicht,« sagte Arkad. Kirsanoff rührte sich nicht.
»Dein Vater ist ein guter Kerl,« antwortete Bazaroff; »allein er ist reif für die Rumpelkammer, er hat abgedankt, sein Lied ist zu Ende.«
Kirsanoff lauschte … Arkad schwieg.
Der »abgedankte« Mann blieb noch einige Augenblicke in seinem Versteck; dann schlich er vorsichtig weg und ins Haus zurück.
»Dieser Tage beobachtete ich, was er wohl treibt; er las Puschkin,« fuhr Bazaroff fort. »Mach ihm begreiflich, ich bitte dich, daß das abgeschmackt ist. Er ist kein Jüngling mehr und sollte all den Plunder ins Feuer werfen. Wer interessiert sich in unsern Tagen noch für Romantik und Poesie? Gib ihm irgendein gutes Buch zu lesen.«
»Was könnte man ihm denn geben?« fragte Arkad.
»Man könnte zum Beispiel mit ›Kraft und Stoff‹ von Büchner beginnen.«
»Daran dachte ich auch schon,« erwiderte Arkad; »das Buch ist leichtverständlich.«
»So wären wir denn gerichtet,« sagte Kirsanoff an diesem Abend zu seinem Bruder; »wir sind reif für die Rumpelkammer, unser Lied ist zu Ende. Bazaroff hat vielleicht nicht so unrecht. Was mir bei alledem nur leid tut, ist, daß ich eben jetzt hoffte, mich eng und freundschaftlich an Arkad anzuschließen, und jetzt seh ich, daß ich zurückgeblieben bin, er hat mich überholt und wir können uns nicht mehr verstehen.«
»Inwiefern hat er dich überholt, und was unterscheidet ihn denn so sehr von uns andern?« rief Paul ungeduldig; »das ist dieser Herr, dieser Nihilist, der ihm alles das in den Kopf gesetzt hat. Dieser Knochenflicker ist mir unerträglich; es ist ein wahrer Scharlatan; ich bin überzeugt, er versteht trotz seiner Frösche selbst von der Physik nicht viel.«
»Nein, lieber Bruder, da irrst du dich doch wohl,« antwortete Kirsanoff, »intelligent und unterrichtet ist er.«
»Und dieses Selbstgefühl! es ist wahrhaft empörend!« fuhr Paul fort.
»An Selbstgefühl fehlts ihm nicht, das gebe ich zu,« erwiderte der Bruder; »es ist, scheints, unvermeidlich. Aber eins ist mir zu stark. Ich tue mein möglichstes, um mit dem Jahrhundert Schritt zu halten; ich habe meinen Bauern eine menschliche Existenz verschafft und eine Pachtung auf meinen Gütern eingerichtet, womit ich mir im ganzen Gouvernement den Namen eines ›Roten‹ erworben habe; ich lese, ich studiere und bemühe mich, auf der Höhe dessen zu bleiben, was dem Lande not tut, und trotzdem soll nun mein Lied zu Ende sein. Aber unmöglich ists dennoch nicht, daß sie recht haben.«
»Wieso?«
»Höre! Heute sitze ich da und lese im Puschkin; eben fing ich ›Die Zigeuner‹ an, da nähert sich mir Arkad leise mit einer Art zärtlicher Teilnahme, nimmt mir wie einem Kinde sanft das Buch aus der Hand und steckt mir ein andres, ein deutsches Buch zu; dann lächelte er und ging, mit Puschkin in der Hand, fort.«
»Wahrhaftig? und was für ein Buch hat er dir gegeben?«
»Da ist es.«
Kirsanoff zog aus der Hintertasche seines Rockes die neunte Ausgabe von Büchners vielbesprochenem Buche. Paul blätterte darin.
»Arkad beschäftigt sich also mit deiner Erziehung,« sagte er; »hast du’s versucht, das Ding da zu lesen?«
»Ja.«
»Nun, und …?«
»Entweder bin ich ein Dummkopf, oder der Verfasser ist nicht recht bei Trost. Aber gewiß bin ich ein Dummkopf.«
»Hast du denn dein Deutsch nicht vergessen?« fragte Paul.
»Nein.«
Paul drehte das Buch in den Händen herum und sah seinen Bruder verstohlen an. Beide schwiegen.
»Apropos,« sagte Kirsanoff, der das Gespräch auf etwas anderes lenken wollte, »ich habe einen Brief von Koliazin erhalten.«
»Von Matthias Ilitsch?«
»Ja. Er ist in X… angekommen, um das Gouvernement zu inspizieren. Das ist jetzt ein Mann von Bedeutung; er schreibt mir, daß er als unser Verwandter sehr wünsche, uns bei sich zu sehen, und ladet mich ein, mit dir und Arkad in die Stadt zu kommen.«
»Wirst du hingehen?« fragte Paul.
»Nein, und du?«
»Ich auch nicht. Ich halte es für keineswegs notwendig, um seiner schönen Augen willen einen Weg von 50 Werst zu machen. Matthias will sich uns in seinem ganzen Glanze zeigen. Hol ihn der Teufel! Er könnte mit dem Beamtenweihrauch zufrieden sein. Da
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