Vampire Academy 02 ● Blaues Blut
zurückkehrten, wussten bereits alle über das Massaker Bescheid. Der vampirische Schultag war gerade zu Ende gegangen, und ich hatte seit mehr als vierundzwanzig Stunden nicht mehr geschlafen. Meine Augen waren trüb, ich fühlte mich flau, und Dimitri befahl mir, auf der Stelle in mein Zimmer im Wohnheim zu gehen und ein wenig zu schlafen. Er wirkte natürlich hellwach und bereit, alles in Angriff zu nehmen. Manchmal war ich mir wirklich nicht sicher, ob er überhaupt schlief. Er verschwand, um sich mit anderen Wächtern wegen des Angriffs zu beraten, und ich versprach ihm, schnurstracks ins Bett zu gehen. Stattdessen lenkte ich meine Schritte in Richtung Bibliothek, sobald er außer Sicht war. Ich musste mit Lissa sprechen, und unser Band verriet mir, dass ich sie dort finden würde.
In pechschwarzer Dunkelheit ging ich den steinernen Weg entlang, der den Schulhof von meinem Wohnheim bis zum Hauptgebäude der Oberstufe überquerte. Eine dichte Schneedecke lag auf dem Rasen, aber der Gehweg wurde säuberlich von Eis und Schnee freigehalten.
Ich musste an das vernachlässigte Haus der armen Badicas denken.
Das Gebäude war groß und wirkte unheimlich; man hätte es eher für eine mittelalterliche Filmkulisse gehalten als für den Teil einer Schule. Im Innern herrschte die Aura des Geheimnisvoll-Altertümlichen erst recht vor, aber das kunstvolle Mauerwerk und die altehrwürdigen Gemälde mussten sich gegen Computer und Leuchtstoffröhren behaupten. Die moderne Technik hatte auch hier längst Fuß gefasst.
Nachdem ich durch den elektronisch gesicherten Eingang der Bibliothek geschlüpft war, machte ich mich unverzüglich auf den Weg zu einer der hinteren Ecken, wo geografische Werke und Reiseberichte zu finden waren. Und tatsächlich, Lissa saß dort, an ein Bücherregal gelehnt, auf dem Boden.
„He”, sagte sie und blickte von einem offenen Buch auf, das sie auf einem Knie balancierte. Sie strich sich einige helle Strähnen aus dem Gesicht. Ihr Freund Christian lag neben ihr auf dem Boden, den Kopf auf ihr anderes Knie gebettet. Er begrüßte mich mit einem Nicken.
Angesichts der Feindseligkeit, die bisweilen zwischen uns aufloderte, kam das beinahe einer stürmischen Umarmung gleich. Trotz ihres schwachen Lächelns konnte ich ihre Anspannung und Furcht spüren, die mir durch das Band entgegenbebten.
„Du hast es gehört”, sagte ich und ließ mich im Schneidersitz nieder.
Ihr Lächeln verrutschte, und das Gefühl von Furcht und Unbehagen in ihr verstärkte sich. Es gefiel mir, dass unsere psychische Verbindung es mir ermöglichte, sie besser zu beschützen, aber eine Verstärkung meiner eigenen aufgewühlten Gefühle brauchte ich eigentlich nicht.
„Es ist schrecklich”, nickte sie mit einem Schaudern. Christian bewegte sich und verschränkte seine Finger mit ihren. Er drückte ihre Hand. Sie drückte zurück. Diese beiden waren so verliebt und zuckersüß miteinander, dass ich mir, nachdem ich mit ihnen zusammen gewesen war, am liebsten sofort die Zähne geputzt hätte. Jetzt waren sie jedoch eher gedämpft, zweifellos dank der Neuigkeiten über das Massaker. „Es heißt .... es heißt, es wären sechs oder sieben Strigoi gewesen. Und dass Menschen ihnen geholfen hätten, die Zauber zu durchbrechen.”
Ich lehnte den Kopf an ein Regal. Neuigkeiten verbreiteten sich wirklich schnell. Plötzlich war mir schwindelig. „Das stimmt.”
„Wirklich?”, fragte Christian. „Ich dachte, da wäre einigen lediglich die Fantasie durchgegangen.”
„Nein .... ” Plötzlich wurde mir klar, dass niemand wusste, wo ich heute gewesen war. „Ich .... ich war da.”
Lissas Augen weiteten sich, und ich spürte, welch ein Schock das für sie war. Selbst Christian - ein Klugscheißer, wie er im Buche stand - blickte grimmig drein. Wenn das Ganze nicht so entsetzlich gewesen wäre, hätte es mich ziemlich befriedigt, ihn dermaßen aus dem Gleichgewicht gebracht zu sehen.
„Du machst Witze”, sagte er mit unsicherer Stimme.
„Ich dachte, du hättest heute deine Qualifikationsprüfung gehabt .... ” Lissas Worte verloren sich.
„Das war auch so geplant”, antwortete ich. „Es war nur ein typischer Fall von , zur falschen Zeit am falschen Ort’. Der Wächter, der mich prüfen sollte, lebte dort. Dimitri und ich sind ins Haus gegangen, und da .... ”
Ich konnte nicht weitersprechen. Wieder blitzten vor mir Bilder auf von dem Blut und dem Tod, die das Haus der Badicas erfüllt hatten. Sowohl Lissas
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