Velten & Marcks - Mordfall Tina Hofer (German Edition)
sich heute hierher bemüht haben. Wie Sie sicher bereits vermuten, möchte ich mich zu den Vorwürfen äußern, die gewisse Medien in der letzten Woche gegen mich erhoben haben.“
„Eigentlich war es nur ein Medium, dass die Sache aufgedeckt hat“, warf Edda Sahm süffisant ein.
Er sah sie verärgert an und schien kurz zu überlegen, ob er auf ihre Bemerkung eingehen sollte, entschied sich dann aber dagegen. Er setzte seine Lesebrille auf und las eine Erklärung vom Blatt ab: „Ich freue mich sehr, dass die Landesregierung meiner Anregung gefolgt ist und in Waldenthal die Einrichtung eines Zentrums für französisch-deutsche Geschichte mit Millionenbeträgen fördern wird. Träger dieser wichtigen neuen Institution wird jedoch alleine die Stadt sein, die auch die Besetzung der Planstellen koordiniert. In diesem Zusammenhang sind Vorwürfe laut geworden, denen zufolge es bei der Auswahl der künftigen stellvertretenden Leiterin des Zentrums nicht mit rechten Dingen zugegangen sei. Es wird behauptet, sie habe ihre Berufung der Tatsache zu verdanken, dass sie die Tochter des Schuhproduzenten Armin Sommer ist, in dessen Immobilie die neue Einrichtung ihren Sitz haben wird.“ Er ließ das Manuskript sinken, um sich ein Glas Wasser einzuschenken.
Veltens Notizblock war noch jungfräulich, denn bis jetzt hatte Dubois nichts gesagt, das nicht längst bekannt war. In Sommers Schuhfabrik OSOWA waren Hunderte von Quadratmetern freigeworden, weil der Unternehmer die gesamte Verwaltung aus dem verschachtelten Altbau nahe des Waldenthaler Zentrums in einen Neubau in einem Gewerbegebiet verlegt hatte. Dorthin würde auch die Produktion umziehen, sobald alle Gebäude fertig waren. Der ehemalige Bürotrakt von OSOWA sollte in den kommenden Monaten komplett umgebaut werden, bevor dort in etwa einem Jahr das Zentrum seine Arbeit aufnehmen würde. Es wurde gemunkelt, Sommer habe die Ernennung seiner Tochter zur Vize-Chefin der neuen Institution zur Bedingung für die kostengünstige Bereitstellung der Räume gemacht.
Dubois nahm seinen Zettel wieder auf und las weiter: „Lassen Sie mich betonen, dass die Ausschreibung der besagten Stelle allen - ich wiederhole: allen - einschlägigen Vorschriften in jeder Hinsicht entsprach. Von den sechsundzwanzig Bewerbungen, die daraufhin im Personalamt der Stadtverwaltung eingingen, erwies sich die der Historikerin Myriam Sommer als die fundierteste. Ihre Qualifikationen haben alle notwendigen Voraussetzungen erfüllt oder sogar übertroffen. Die Berufung von Frau Sommer zur stellvertretenden Geschäftsführerin war daher nicht nur naheliegend, sondern in jeder Hinsicht alternativlos.“
Die Radiojournalistin hob die Hand: „Herr Oberbürgermeister, wie würden Sie ...“
„Frau Sahm, Sie haben nach meiner Erklärung die Gelegenheit für Fragen“, fuhr Dubois sie gereizt an.
Sie senkte den Arm und lächelte. Die dünnhäutige Reaktion des Stadtchefs ließ keinen Zweifel daran, dass er nervös war.
Er nahm seine Brille ab und deutete damit in die Runde der Journalisten, was ihn ungemein staatstragend wirken ließ. Die beiden anwesenden Fotografen schossen sofort ein paar Bilder. „Sie alle haben das Recht, ja sogar die Aufgabe, die Arbeit der Stadtverwaltung kritisch zu beobachten und zu hinterfragen. Ich verwahre mich jedoch in aller Form gegen jeden Versuch, die Verwaltung, einzelne Rathausmitarbeiter oder mich selbst zu diskreditieren. Es stimmt, Frau Sommer ist die Tochter meines langjährigen Freundes Armin Sommer. Sie hat die ausgeschriebene Stelle jedoch nicht aufgrund ihrer verwandtschaftlichen Beziehungen bekommen, sondern weil sie eine versierte Expertin ist. Meine Damen und Herren, es ist völlig unstrittig, dass kein Kandidat aus sachfremden Gründen bevorzugt werden darf. Es kann aber auch nicht richtig sein, eine ausgezeichnete Bewerberin aus gleichfalls sachfremden Gründen zu benachteiligen.“
Dubois setzte die Brille wieder auf und begann, einen weiteren Text vorzulesen. Es handelte sich um eine eidesstattliche Versicherung des Personalamtsleiters. Aus ihr ging hervor, dass der Ressortchef die Stellenbesetzung gemäß der rechtlichen Bestimmungen und ohne Ansehen der Person einzelner Bewerber vorgenommen habe. Auch habe der Oberbürgermeister zu keinem Zeitpunkt versucht, die Personalentscheidung zu beeinflussen. Velten hielt die Veröffentlichung dieses Schriftstücks für völlig überzogen. Die sogenannte Club-Affäre erhielt dadurch viel mehr Relevanz, als ihr
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