Galaxis Science Fiction Bd. 09
DAS OBSERVATORIUM……
Lothar Heinecke
In München war kürzlich eine interessante kleine Ausstellung zu sehen – Pläne und Ansichten der Stadt Brasilia, die inmitten der Urwälder des südlichen Brasiliens im Entstehen begriffen ist und schon im kommenden Jahr die Nachfolge Rio de Janeiros als Hauptstadt dieses Staates antreten soll – zum großen Kummer Rios, beiläufig gesagt. Daß ein Land seine Hauptstadt verlegt, passiert an und für sich schon nicht allzu häufig. Was jedoch diesen Fall von allen anderen unterscheidet, ist die Tatsache, daß Brasilia, als die brasilianische Regierung den Entschluß zum Umzug faßte, überhaupt noch gar nicht vorhanden war. Sie wurde erdacht auf den Reißbrettern der Architekten und erblickte das Licht der Welt fix und fertig mit hypermodernem Regierungszentrum, Einkaufs- und Vergnügungsviertel, riesigen Wohnanlagen, Wolkenkratzerhotels und Jachtklub am künstlichen See, noch bevor ein einziger Mensch sich tatsächlich an der Stelle niedergelassen hatte, an der sie jetzt mit allen Mitteln heutiger Technik aus dem Erdboden gestampft wird. Eigentlich würde man erwarten, mit der Idee zu einem solchen gigantischen und mit allen Traditionen brechenden Vorhaben eher in einem Science Fiction Roman konfrontiert zu werden als in der Wirklichkeit. Im Grunde ist es wohl auch nur möglich in einem so zukunftsträchtigen und vitalen Land wie Brasilien. Aber ich möchte hier nicht weiter von Brasilia sprechen, sondern von ein paar Gedanken, die mir bei dem Besuch der Ausstellung gekommen sind und die ich inzwischen durch ein paar Nachforschungen im Lexikon untermauert habe. Um was es in diesem Observatorium geht, das ist das Problem der Übervölkerung der Erde, die Besiedlung fremder Planeten und ein paar erstaunliche Tatsachen über das Land am Amazonenstrom. Vor ungefähr anderthalb Jahrhunderten erklärte der englische Volkswirtschaftler Thomas Robert Malthus, daß die Erdbevölkerung die Tendenz hat, in einem größeren Tempo zuzunehmen als die ihr zur Verfügung stehenden Nahrungsmittel. Malthus empfahl Geburtenkontrolle, denn sonst – so meinte er – drohten Krieg und Hungersnot den unerwünschten Zuwachs abzuschöpfen. Nun, die augenblickliche Zuwachsrate der Weltbevölkerung beträgt an die 25 Millionen jährlich. Malthus würde diese Zahl, wie überhaupt die heutige Größe der Weltbevölkerung, unmöglich genannt haben. Von seiner Warte aus gesehen und der begrenzten Technologie seiner Zeit hätte er damit sogar völlig recht. Aber wo die landwirtschaftlichen Techniken mit der Zunahme der Bevölkerung Schritt gehalten haben, ist die Nahrungsmittelversorgung immer noch zufriedenstellend. Trotzdem, die Menschheit vermehrt sich in einem beängstigenden Tempo, und über kurz oder lang wird man sich ernsthafte Gedanken machen müssen – wohin mit dem Überschuß? Die Lösungen, die Malthus anbot – Geburtenkontrolle, Hungersnot, Krankheiten, Kriege –, haben sich weder bewährt, noch sind sie besonders verlockend. Auch die Atombomben, die augenblicklich in den Arsenalen der Großmächte lagern, bieten keinen gangbaren Ausweg, und Schnitzel aus Meeresalgen oder die Produktion künstlicher Nahrung werden vermutlich die unausbleibliche Explosion nur vorzögern können. Die letzte Antwort sind sie jedenfalls nicht. Eine Lösung, die in Science Fiction am häufigsten vorgeschlagen wird, ist Auswanderung – besonders auf andere Planeten. Im Augenblick ist eine solche Lösung natürlich nur Zukunftsmusik, denn die Mindestzahl der Menschen, die wir auswandern lassen müßten, um wenigstens den heutigen Stand der Bevölkerung zu halten, wären die 25 Millionen, die jährlich hinzukommen. Aber bis wir soweit sind, um sie auf einem anderen Planeten unterbringen zu können, wird noch viel Zeit vergehen – was nicht bedeutet, daß die Science-Fiction-Autoren sich bloß unsinnigen Spekulationen hingeben. Sie wissen sehr gut, daß das unmöglich der einen Generation das alltäglich der nächsten oder übernächsten werden kann. Inzwischen müssen es Notlösungen tun. Brasilien kann uns möglicherweise von ungeheurem Nutzen sein, wenn es darum geht, die Menschenmassen der Erde zu ernähren und dazu noch die Mineralien und Erze zu liefern, die anderswo immer rarer werden. Ganz abgesehen davon ist das Land und besonders sein prominentestes Merkmal – der Amazonenstrom – erstaunlich genug, um mehr in das Gebiet der Science Fiction zu gehören als in das der nüchternen Tatsachen.
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