Velvet Haven Paradies der Dunkelheit
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T od. Selbst in diesem Augenblick lastete er schwer auf ihm, seine Ankunft stand knapp bevor â drohend. Unaufhaltbar.
Während er mit geschlossenen Augen am Boden kniete und das Herz wie wild in seiner Brust pochte, wartete Bran auf das Unvermeidliche. Wie in jeder Nacht, wenn der Mond aufging und die Winde sich langsam legten, stand er in Erwartung seiner Vision.
Es war eine Gabe, diese Fähigkeit, den Tod vorherzusehen. Ãber die Jahrhunderte hatte sie vielen Angehörigen seines Stammes das Leben gerettet. Doch mittlerweile war ihm dieses Geschenk zum Fluch geworden. Seiner eigenen Ermordung zusehen zu müssen, allerdings ohne zu wissen, wann sie geschah â oder durch wen â, lieà ihn rätseln, weshalb ihn das Universum eigentlich mit dieser Warnung bedacht hatte. Wie sollte sie ihm denn nützlich sein, da er doch gar nicht über die nötigen Kenntnisse verfügte, die ihn vor diesem vorzeitigen Ende hätten schützen können?
Wann genau mochte sein Mörder vor ihm stehen, und wer mochte es sein? Beide Fragen quälten ihn nun schon seit Monaten. Doch heute Nacht wäre es soweit: Endlich würde er eine Antwort erhalten.
Aufmerksam lauschte er auf die Blätter der Birken, deren sanftes Rascheln sich mit dem leisen Flüstern des Windes, der durch den Wald strich, verband. Vereint erinnerte ihn beides an das laszive Lachen einer Frau. Und dieses Geräusch sorgte dafür, dass sich sein Körper vor Wut anspannte, ein Gefühl, das er nur mühsam zu zügeln vermochte. Morgan. SchlieÃlich war sie die Quelle allen Ãbels. Selbst von dieser Ãdnis aus band ihn ihr Zauber weiter fest an sie.
Diese Hure.
Er hätte die Hexe einfach heiraten sollen, dann wäre ein für alle Mal Frieden gewesen, sein Bruder nicht in Verdammnis geraten, wenn auch für immer und ewig verloren gewesen â für ihn. Und auch er selbst: Er müsste diesen Erbfluch nicht tragen.
Doch zu diesem Zeitpunkt galt es nicht, in der Vergangenheit zu verweilen. Die Zukunft war es doch, deretwegen er heute Abend hier war. Eine Zukunft, auf deren Ausgang er zwingend Einfluss nehmen musste.
Während die Minuten dahinstrichen, stieg der Mond am Himmel weiter empor. Seine Strahlen krochen durch das Dickicht der Zweige, die zu jenen groÃen Eichen gehörten, und durchdrangen nach und nach das gesamte Gehölz, das über dem samtbedeckten Altar, vor dem er kniete, ein prächtiges Gewölbe bildete. Bis die silbernen Strahlen den zinnernen Kelch würden leuchten lassen und das Innere des Bechers füllten, mochte es Mitternacht werden. Dann wäre auch die Zeit für ihn gekommen, um ⦠zu sterben.
Das silbrige Licht, so stellte Bran fest, war gerade erst bis zum Rand des Kelches vorgedrungen.
Bald war es so weit.
Er versuchte seine Gedanken zu beruhigen, zwang seine Atmung in gleichmäÃigere Bahnen und blickte tief in das Flackern der Kerzen, die rings um den Altar aufgebaut waren. Und fast noch im selben Augenblick fühlte er sich eins mit dem Gehölz, den Bäumen und den Tieren des Waldes. Die Lebenskraft der Elemente wob ihr Geflecht um ihn, schlang sich erst um seine Knie, dann um seinen ganzen Körper, bis er die Energie auf seinem Antlitz spüren konnte. Wie einen schützenden Panzer trug er die Kraft des magischen Kreises, den er erzeugt hatte, und dann beobachtete er, wie sich der erste zaghafte Strahl des Mondlichts langsam ins Innere des Kelches vortastete.
Sekunden später kam der Tod.
Wie immer hielt er ihn in seiner kalten, unerbittlichen Umklammerung gefangen. Die vertrauten Bilder flackerten ihm vor den Augen, und er schwankte, suchte tief in seinem Inneren nach der Kraft, um durchzuhalten und so viel wie möglich aus der Heimsuchung in Erfahrung zu bringen.
Bran durchlebte den exakten Zeitpunkt seines Todes, als seine Lungen zu brennen begannen und sich sein Herzschlag verlangsamte. Tief in sich selbst begrub er die Angst vor dem letzten Herzschlag und der plötzlichen Stille, die mit dem Ausbleiben des Schlagens einsetzen würde.
Doch er wartete vergeblich. Da war nur Stille. Gefolgt von Dunkelheit.
Er fühlte, wie sich seine Seele erhob und seine körperlichen Ãberreste mit dem Gesicht nach unten auf einem weiÃen Leintuch ruhten. Seine Arme waren ausgebreitet, die kräftigen Handgelenke mit eisernen Ketten gefesselt, sein eigener Opferdolch, das Athame, war ihm zwischen den nackten
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