Verborgene Macht
festhalten?«
Gelassen sandte Cassie ihre Macht aus, hob sachte den Füllfederhalter aus den benommenen Fingern der Senatorin und brach ihn sauber entzwei.
Erstickt keuchte die Senatorin auf. Die übrigen Ältesten wirkten wie vom Donner gerührt.
So viel zum Thema Kontrolle, Sir Alric!
Und irrte sie sich oder war da ein Anflug von Stolz in seinen granitfarbenen Augen?
Sir Alric klopfte mit dem Silberhammer ganz sachte auf den Tisch, sodass er ein süßes Klingen von sich gab.
»Also, meine Damen und Herren, wollen wir zur Abstimmung kommen?«
KAPITEL 29
Cassie hob ihr Handy hoch, als es lautlos in ihrer Hand vibrierte. Einmal mehr betrachtete sie das leuchtende Display.
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von
Patrick Malone
Einmal mehr bewegte sich ihr Daumen zu dem Keypad. Einmal mehr drückte sie sanft auf Delete.
Sie rollte sich im Bett auf die andere Seite und spähte in der Dunkelheit zu Isabella hinüber. Es hatte Stunden gedauert, bis sie endlich eingeschlafen war. Cassie hatte nicht solches Glück. Wann immer sie die Augen schloss, sah sie, was geschehen wäre, hätte sie Katerina und Brigitte nicht rechtzeitig aufgehalten. Hätte sie das Messer nicht genommen. Hätte sie nicht auf Estelle gehört ...
Estelle war da gewesen, als sie sie gebraucht hatte. Wenn es hart auf hart kam, war es Estelle, an die sie sich wandte. Was also bedeutete das für Cassie? War sie ein Ungeheuer, genau wie die Leute, vor denen sie ihre Freunde zu beschützen versucht hatte? Sie war sich nicht einmal mehr sicher, ob sie Jake noch ihren Freund nennen konnte — er jedenfalls schien es nicht zu wollen. Sie hatten nichts mehr von ihm gehört, seit er sie in der Gasse hatte sitzen lassen. Er war genauso verschwunden wie das Messer der Auserwählten. Cassie hatte das ganze Gelände um das Swedish Cottage herum abgesucht, als sie mit Sir Alric dorthin zurückgekehrt war. Aber die Klinge blieb verschwunden. Natürlich hätte jeder Passant das Messer aufheben können, aber irgendwie wusste Cassie, dass Jake es hatte.
Warum war er zurückgekehrt, um es zu holen, diese Erinnerung an alles, was er hasste? Wollte er Katerina damit töten? Oder dachte er, er würde es vielleicht gegen Cassie selbst einsetzen müssen, irgendwann in der Zukunft?
Die Zukunft... Cassie seufzte. Wer wusste, was die Zukunft bereithielt?
Ich tue es. Ich weiß es...
Seit Cassie Estelle zur Gänze in ihren Verstand und ihren Körper eingelassen hatte, lag eine neue Gelassenheit in Estelles Stimme. Als sei sie sich sicher, dass Cassie sie irgendwann wieder hereinlassen würde, für immer.
»Das wird niemals geschehen, Estelle.«
Cassie war beharrlich. Aber was gab sie damit alles auf? Was verlor sie? Das unglaubliche Gefühl der Macht, das die Vereinigung ihr beschert hatte, hallte noch immer in Cassie, wie die Erinnerung an eine Droge. Allein das Verlangen nach dieser Macht in Schach zu halten, war ein stetiger Kampf. Aber sie würde kämpfen. Sie konnte das Risiko nicht eingehen, Isabella zu verletzen, die Kontrolle zu verlieren, noch mehr Schaden anzurichten. Ihr gefiel nicht, wozu sie geworden war - wozu zu werden sie das Potenzial hatte...
Früher oder später wirst du es willkommen heißen müssen, meine Liebe!
Cassie zuckte zusammen. Es hatte an der Tür geklopft. Jake? Sie sprang förmlich auf. Auf dem Weg zur Tür warf sie einen prüfenden Blick auf ihr fleckiges Gesicht im Kleiderschrankspiegel. Zumindest hatten ihre Augen jetzt wieder ein respektables Gelbgrün angenommen.
Als sie die Tür öffnete, musste sie sich festhalten, als sie sah, wer dort stand.
»Ranjit.«
Sie zwang sich, gleichmäßig zu atmen — so schwer ihr das auch fiel. Irgendetwas krampfte sich in ihrer Brust zusammen, aber sie unterdrückte ihre Sehnsucht und wahrte Abstand.
»Cassie. Hi.« Der gut aussehende indische Junge öffnete und schloss seine Hände zu Fäusten. Sie hatte ihn noch nie so nervös und unglücklich gesehen. Trotzdem würde sie ihn nicht so einfach davonkommen lassen. Um Isabella nicht zu stören, schlüpfte sie in den Flur hinaus und zog die Tür hinter sich zu.
»Ich bin überrascht, dich hier zu sehen.«
Verletzt holte er tief Luft. »Cassie — es tut mir leid. Alles-«
»Dann hast du die Geschichte also gehört?«
»Ich habe mit Sir Alric gesprochen.« Er schaute auf seine Hände hinab. »Und er hat mit mir gesprochen.«
»Dann ist also alles wie immer. Man redet hinter meinem Rücken über mich. Meine Ohren werden noch so rot wie meine
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