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Verbotene Wege - Link, C: Verbotene Wege

Verbotene Wege - Link, C: Verbotene Wege

Titel: Verbotene Wege - Link, C: Verbotene Wege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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gefallen, er sei unvorsichtigerweise in eines der vielen kurzen Rückzugsgefechte zwischen Preußen und Franzosen geraten und habe dabei sein Leben lassen müssen. Joanna stützte diese Version, indem sie ihr nicht widersprach und alle Beileidsbekundungen wortlos entgegennahm. Im Innersten
war sie davon überzeugt, daß Edward lebte, daß er sich irgendwo in Frankreich aufhielt und ganz sicher niemals nach England zurückkehren würde. Sie ahnte, daß er wohl nicht mehr viel Zeit zum Leben hatte und daß er einsam, verwirrt und arm in irgendeinem Asyl für Obdachlose würde sterben müssen. Aber sie merkte, daß sich ihre Kraft verbraucht hatte. Sie konnte ihm nicht helfen, und sie wollte nichts anderes als heim nach England, nach Heron Hall, um die Alpträume der Tage und Nächte von Napoleons letzten Schlachten zu vergessen und in Tiefen ihres Gemüts zu drängen, aus denen heraus sie nie wieder von ihnen heimgesucht werden konnte.
    Sie hatte sehr lange gezögert, sich aber schließlich doch entschlossen, nach Ligny zu fahren und Elizabeth zu besuchen, bevor sie das Schiff nach England wieder bestieg, denn plötzlich erschien es ihr unmöglich, fortzugehen, ohne Elizabeth noch einmal zu sehen. Sie spürte ein wenig Scheu vor der Begegnung, daher war sie froh, daß George sie begleitete. Er sah sehr blaß aus, hatte einen Verband um den Kopf und einen um Oberkörper und rechten Arm, denn er war bei Waterloo schwer verletzt worden und hatte zwei Wochen im Lazarett gelegen. Belinda, die ebenfalls mitkam, trug ein schwarzes Kleid, einen schwarzen Hut und einen dunklen Schleier vor dem Gesicht. Waterloo hatte sie zum zweiten Mal zur Witwe gemacht. Sir Wilkins war bereits in den ersten Minuten der Schlacht von einer Kugel tödlich getroffen worden.
    Die Tage nach Waterloo hatten sie in Brüssel verbracht, sonnige, warme Junitage, in denen ganz Europa vom Sieg der Alliierten sprach. Die französische Armee war nach Frankreich geflohen, Blücher marschierte mit seinen fürchterlich plündernden Truppen nach Paris, Wellington und die Engländer folgten. Bonaparte verkroch sich in Schloß Malmaison, floh aber bereits nach wenigen Tagen wieder. Er hatte sich später freiwillig an England ausgeliefert, war nach London gebracht worden und dann in die Verbannung nach St. Helena gegangen. Ludwig XVIII. sollte erneut zum König von Frankreich erklärt werden. Wellington und Blücher stritten darum, welchen Namen jener
glanzvolle Sieg über die Franzosen vom 18. Juni 1815 tragen sollte: Waterloo, nach jenem Ort, an dem Wellington sein Hauptquartier gehabt hatte, oder Belle Alliance, nach dem des Marschalls Blücher. Aber dies alles interessierte die Menschen, die an den Schauplätzen der Kämpfe lebten, und jene vielen, deren Angehörige gefallen waren, nicht. Sie begruben die Toten, trauerten um ihre Verluste und wußten nicht, wie sie mit den Zerstörungen leben sollten.
    Es berührte Joanna eigenartig, in einer Kutsche an den Schauplätzen der wilden, bewegten Tage vorbeizukommen, an Waterloo, Belle Alliance und Sombreffe. Überall bot sich ihnen das gleiche Bild der Verwüstung, wenn auch langsam erstes Leben zurückkehrte. Viele Menschen hausten bereits wieder in ihren alten Dörfern, in den Kellern ihrer einstigen Häuser oder im Freien zwischen rußgeschwärzten, zerbrochenen Mauern. Sie hatten die Leichen der Soldaten fortgeschafft und den Schutt von den Wegen geräumt und begannen nun, nach und nach die Steine der Ruinen wieder aufeinanderzusetzen. Auf den lehmigen Feldern spielten Kinder, Hunde tobten bellend herum, und ein paar Ziegen standen angepflockt zwischen kärglichen Resten von Löwenzahn und Disteln.
    Joanna war voller Dankbarkeit, daß George neben ihr saß, verletzt zwar, aber er war zurückgekehrt. Sie dachte, daß sie es nie hätte aushalten können, ihn zu verlieren. Wenn sie nun nach England ging, dann wartete nicht nur Harriet auf sie, dann hatte sie auch noch George, der jung war und voller Pläne und Träume. Er würde auf eine Universität gehen und dann nach Heron Hall kommen und dort leben, er würde heiraten und Kinder haben. Heron Hall würde wieder schön sein, lebendig, voller Stimmen, Gelächter und Durcheinander. Sie hätte es vor niemandem außer sich selbst zugegeben, aber Edwards Verlust schmerzte sie nicht so sehr, wie es der von George getan hätte. In all der Traurigkeit dieser Tage konnte sie sich noch darüber freuen, daß auch Andrew Courtenay die Kämpfe überlebt hatte. In einem Park

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