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Verbrechen und Strafe (Schuld und Sühne)

Titel: Verbrechen und Strafe (Schuld und Sühne) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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Gleich am nächsten Tag, einem Sonntag, fuhr sie direkt in die Domkirche und erflehte sich von der Mutter Gottes kniefällig und unter Tränen die Kraft, diese neue Prüfung zu ertragen und ihre Pflicht zu erfüllen. Direkt aus der Kirche, ohne jemand anderen zu besuchen, kam sie zu uns, erzählte uns alles, weinte bitterlich, umarmte Dunja voller Reue und bat sie um Verzeihung. Am selben Morgen begab sie sich unverzüglich, direkt von uns in alle Häuser der Stadt und stellte überall in den schmeichelhaftesten Ausdrücken, unter Tränen, Dunjetschkas Unschuld fest und sprach vom Adel ihrer Gefühle und ihres Betragens. Und noch mehr als das: sie zeigte allen den eigenhändigen Brief Dunjetschkas an Herrn Swidrigailow, las ihn vor und ließ von ihm sogar Abschriften anfertigen (was ich sogar für überflüssig halte). So mußte sie einige Tage hintereinander alle Menschen in der Stadt aufsuchen, so daß manche sich sogar gekränkt fühlten, weil sie erst nach den anderen kamen; auf diese Weise wurde eine Reihenfolge festgesetzt, so daß man sie in jedem Hause schon im voraus erwartete, und alle Menschen wußten, daß Marfa Petrowna an dem und dem Tage dort und dort den Brief vorlesen würde; zu jeder Vorlesung versammelten sich immer neue Leute, und auch solche, die den Brief schon einige Male wie bei sich, so auch bei ihren Bekannten gehört hatten. Ich meine, daß hierbei vieles, sehr vieles überflüssig war. Aber Marfa Petrowna ist einmal so. Jedenfalls stellte sie die Ehre Dunjetschkas vollkommen wieder her, und die ganze Gemeinheit dieser Sache fiel als unverwischbare Schmach auf ihren Mann, als den Hauptschuldigen, so daß er mir sogar leid tut; man hat diesen Wahnsinnigen doch zu streng bestraft. Dunja bekam sofort mehrere Aufforderungen, in verschiedenen Häusern Unterricht zu geben, doch sie schlug es ab. Alle begannen ihr überhaupt eine besondere Achtung zu zeigen. Dies alles trug hauptsächlich zu dem unerwarteten Ereignis bei, durch das sich jetzt unser ganzes Schicksal sozusagen wendet. Wisse nun, lieber Rodja, daß ein Freier um Dunja angehalten und daß sie ihm bereits ihr Jawort gegeben hat: dies beeile ich mich, Dir mitzuteilen. Obwohl diese Sache auch ohne Deinen Ratschlag zustande gekommen ist, wirst Du wohl weder mir noch Deiner Schwester Vorwürfe machen, denn Du kannst aus der Sache selbst ersehen, daß es uns unmöglich war, zu warten und die Entscheidung bis zum Eintreffen Deiner Antwort hinauszuschieben. Auch hättest Du das alles von Petersburg aus gar nicht beurteilen können. Es kam aber so. Er ist schon Hofrat, heißt Pjotr Petrowitsch Luschin und ist ein entfernter Verwandter von Marfa Petrowna, die die ganze Sache lebhaft gefördert hat. Es fing damit an, daß er durch sie den Wunsch äußerte, unsere Bekanntschaft zu machen; dann wurde er, wie es sich ziemt, empfangen, trank bei uns Kaffee und schickte schon am nächsten Tag einen Brief, in dem er sehr höflich seinen Antrag darlegte und um eine schnelle und bestimmte Antwort ersuchte. Er ist ein vielbeschäftigter Mensch und hat die Absicht, sofort nach Petersburg zu reisen, und will keinen Augenblick verlieren. Natürlich waren wir zuerst sehr bestürzt, denn es war allzu schnell und unerwartet gekommen. Wir überlegten uns die Sache gemeinsam den ganzen Tag. Er ist ein zuverlässiger, gut versorgter Mann, bekleidet zwei Stellungen und besitzt schon ein eigenes Kapital. Allerdings ist er schon fünfundvierzig Jahre alt, aber von recht angenehmem Außern und kann noch Frauen gefallen; er ist auch überhaupt ein höchst solider und anständiger Mann, nur ein wenig düster und vielleicht auch hochmütig. Es mag sein, daß das nur auf den ersten Blick so vorkommt. Ich bitte Dich schon jetzt, lieber Rodja, ihn, wenn Du ihn in Petersburg siehst, was sehr bald geschehen wird, nicht so voreilig und zu hitzig zu beurteilen, wie es Dir eigen ist, wenn Dir auf den ersten Blick etwas an ihm mißfällt. Ich sage das für jeden Fall, obwohl ich überzeugt bin, daß er auf Dich einen angenehmen Eindruck machen wird. Außerdem muß man an einen Menschen, den man wirklich kennenlernen will, ganz allmählich und mit der größten Vorsicht herantreten, um nicht in Fehler oder Vorurteile zu verfallen, die später sehr schwer zu korrigieren und zu beseitigen sind. Pjotr Petrowitsch ist aber, wenigstens nach vielen Anzeichen zu schließen, ein höchst ehrenwerter Mann. Gleich bei seinem ersten Besuch erklärte er uns, daß er ein nüchterner Mensch

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