Endlich
Vorwort von Peter Schneider
Es kommt nicht oft vor, dass ein paar Monate nach dem Tod eines britischen Schriftstellers und Journalisten ein memorial in New York veranstaltet wird, bei dem über fünfhundert Menschen den Nachrufen und Lesungen prominenter Freunde aus dem Werk des Verstorbenen lauschen. Die Freunde kamen aus allen Teilen der angelsächsischen Welt. Hitchens’ Witwe Carol Blue und ihre Tochter Sophie hatten zusammen mit Vanity Fair , dem Hausblatt des Verstorbenen, die Veranstaltung organisiert. Ich vermeide Gedenkveranstaltungen, so gut ich kann, aber ich gestehe: Das Hitchens- memorial in New York war das heiterste Fest für einen Toten, das ich erlebt habe.
Es war eine Manifestation jenes freien, witzigen und libertären Amerika, das man in den Jahren der G. W. Bush-Ära zu vermissen gelernt hatte. Es gab keine falschen Töne, keine frommen Worte, keine pathetischen Reden – Hitchens selber hatte das Wort. Jeder von uns las ein kurzes Stück eigener Wahl aus seinem Werk. Ganz nebenbei wurde bei diesem memorial sichtbar, dass Hitchens seine Karriere von Anfang an zusammen mit einer Reihe von gleichaltrigen Freunden angetreten hatte: mit James Fenton, Martin Amis und Ian McEwan. Später gehörten auch Salman Rushdie, Tom Stoppard, Julian Barnes zu diesem Freundeskreis, dessen Zusammenhalt über Jahrzehnte sich auch nach Hitchens’ Tod bewährte. Einen vergleichbaren kollektiven Aufbruch von Talenten hat es in diesen Jahren weder in Deutschland noch in Frankreich gegeben.
Christopher Hitchens ist vielleicht der einzige Intellektuelle seiner Generation, der es in der angelsächsischen Welt zum Status einer Pop-Ikone brachte. Zu seinem Ruhm haben zweifellos nicht nur sein unverwechselbarer lakonischer Stil, sondern auch seine öffentlichen Auftritte beigetragen – seine scharfe Zunge, sein Witz und seine Schlagfertigkeit im Disput. Als Schriftsteller beherrschte er sowohl die kleine wie die große Form – vom Bonmot bis zum Pamphlet und zum literarischen Essay. Aber erst bei seinen Auftritten in Talkshows und öffentlichen Streitgesprächen lief er zur vollen Form auf. NACHHitchens zu reden, hieß es, komme einem Absturz aus dem 20. Stockwerk gleich. Dieser Ruf gründete sich keineswegs darauf, dass Hitchens jeweils die besseren Argumente hatte – auch unpopuläre und sogar unhaltbare Positionen verteidigte er mit derartiger Brillanz und Verve, dass seine Gegner nicht mehr wussten, ob sie an Hitchens’ oder am eigenen Verstand zweifeln sollten.
Wer allerdings meint, Hitchens sei nur ein Meister in der Kunst gewesen, seine Gegner mit dem Schwung ihrer eigenen Argumente zu Fall zu bringen, wird dem Phänomen nicht gerecht. Sicher, er liebte das Showgeschäft und die brechend vollen Säle, aber er war alles andere als ein selbstverliebter Zyniker, der nach dem nächstbesten Beifall schielte. Hitchens war auch dann, wenn er sich verirrte, ein Moralist und Überzeugungstäter. Niemand, der ihn erlebt hat, kann bezweifeln, dass er meinte, was er sagte. Sein Handwerkszeug stammte aus dem Baukasten der großen Aufklärer, sein Stil orientierte sich an Montaigne, Oskar Wilde und George Orwell.
Aber mehr als diese Vorzüge trugen sein bissiger Humor, seine Unberechenbarkeit und der hohe Unterhaltungswert seiner Auftritte zu der Legende bei, die sich bereits zu Lebzeiten um ihn bildete. Er sei eigentlich nur Journalist geworden, um nicht auf die Recherchen seiner Kollegen angewiesen zu sein, bekannte er; als er Margaret Thatcher nach einer ersten Begegnung »überraschend sexy« nannte, brach eine Flut von Hassbriefen über ihn herein. Hinzu kam, dass er im Heimatland des strikten Rauchverbots und der Wasserdiät nie ein Geheimnis daraus machte, dass Zigaretten und Alkohol zu seinen Lebensmitteln gehörten. Nicht nur Eingeweihte wussten, dass der Pappbecher, mit dem er sich als Gast mancher Late-Night-Show stellte, mit Whisky gefüllt war. Was Hitchens allerdings nie hinderte, in gestochenem Oxford-Englisch Rede und Antwort zu stehen. Nicht ohne Selbstironie spielte er mit der Figur des britischen hard drinking and smoking Journalisten, den man nur noch aus Schwarz-Weiß-Filmen kannte.
Ich habe ihn Mitte der neunziger Jahre in Washington kennengelernt. Das Haus, in dem ich in der Zeit eines Gastsemesters an der Georgetown-Universität wohnen sollte, war noch nicht bezugsfertig. Ein gemeinsamer Freund aus San Francisco brachte uns per E-Mail zusammen. Hitchens, dem ich nie begegnet war, bot mir gleich am
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