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Verbrechen und Strafe (Schuld und Sühne)

Titel: Verbrechen und Strafe (Schuld und Sühne) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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reinem Herzen, Ssonja, mit reinem Herzen ...«
    Er wollte ihr übrigens etwas ganz anderes sagen.
    Er bekreuzigte sich einige Male, Ssonja nahm ihr Tuch und warf es sich über den Kopf. Es war ein grünes Drap-de-dames-Tuch, wahrscheinlich dasselbe, von dem Marmeladow gesprochen hatte, das »Familientuch«. Raskolnikow kam sogar dieser Gedanke, aber er fragte nicht. Er begann tatsächlich selbst zu fühlen, daß er furchtbar zerstreut und voll häßlicher Unruhe war. Er erschrak darüber. Er war plötzlich bestürzt, daß Ssonja mit ihm gehen wolle.
    »Was fällt dir ein? Wo willst du hin? Bleibe, bleibe! Ich gehe allein!« rief er in kleinmütigem Zorn und ging beinahe erbost zur Tür. »Wozu dieses ganze Gefolge!« murmelte er hinaustretend.
    Ssonja blieb allein mitten im Zimmer. Er hatte von ihr nicht einmal Abschied genommen, er hatte sie schon vergessen; ein stechender Zweifel empörte sich plötzlich in seiner Seele:
    – Ist es auch so richtig, ist es richtig? – dachte er wieder, als er die Treppe hinunterging. – Kann ich denn nicht mehr stehen bleiben und alles wieder gutmachen ... und nicht hingehen? –
    Er ging aber doch hin. Plötzlich fühlte er endgültig, daß es keinen Sinn habe, Fragen an sich zu stellen. Als er schon auf der Straße war, erinnerte er sich, daß er sich von Ssonja nicht verabschiedet hatte, daß sie mitten im Zimmer in ihrem grünen Tuche geblieben war und es nicht wagte, nachdem er sie angeschrien hatte, sich zu rühren. Im gleichen Augenblick durchzuckte ihn ein Gedanke, der gleichsam nur darauf gewartet hatte, um ihn völlig zu verwirren.
    – Nun, warum, warum bin ich jetzt bei ihr gewesen? Ich sagte ihr: in einer wichtigen Angelegenheit; was war das für eine wichtige Angelegenheit? Ich hatte ihr doch nichts zu sagen! Um ihr zu sagen, daß ich hingehe ? Was ist denn dabei? War es denn notwendig? Liebe ich sie etwa? Doch nein, nein! Ich habe sie doch soeben wie einen Hund von mir gestoßen. Brauchte ich vielleicht ihr Kreuz? Oh, wie tief bin ich gesunken! Ihre Tränen brauchte ich, ich mußte ihren Schreck sehen, ich mußte sehen, wie ihr Herz schmerzt und sich quält! Ich mußte mich an irgendetwas festklammern, verweilen, einen Menschen sehen! Und ich wagte noch, so auf mich zu hoffen, so von mir zu denken, ich elender Bettler, ich Schuft, Schuft! –
    Er ging am Kanal entlang und hatte nicht mehr weit zu gehen. Aber bei der Brücke blieb er stehen, schlug plötzlich den Weg über die Brücke ein und ging nach dem Heumarkt.
    Mit gierigen Blicken sah er nach rechts und nach links, betrachtete gespannt jeden Gegenstand und konnte auf keinen seine Aufmerksamkeit konzentrieren; alles entglitt ihm. – Nach einer Woche, nach einem Monat wird man mich über diese Brücke irgendwohin in so einem Gefängniswagen fahren; mit welchen Augen werde ich dann diesen Kanal ansehen? – Wenn ich mir das merken könnte! – ging es ihm durch den Kopf. – Dieses Schild dort, wie werde ich dann diese Buchstaben lesen? Da steht geschrieben »Genossenschaft«; wenn ich mir nur dieses »a«, diesen Buchstaben »a« merken könnte und dann nach einem Monat ihn wiedersehen; wie werde ich ihn dann ansehen? Was werde ich dann fühlen und denken? ... ... Mein Gott, wie gemein ist doch wohl das alles, alle meine jetzigen ... Sorgen! Natürlich, es muß auch interessant sein ... in seiner Art ... (Ha-ha-ha! Woran ich jetzt denke!) Ich werde zu einem Kind und prahle vor mir selbst; warum werfe ich es mir vor? Gott, wie sie stoßen! Dieser Dicke da (wahrscheinlich ein Deutscher), der mich gestoßen hat, weiß er auch, wen er gestoßen hat? Eine Frau mit einem Kinde bettelt; es ist doch interessant, daß sie mich für glücklicher hält als sich selbst. Soll ich ihr nicht spaßhalber ein Almosen geben? Ah, ich hab ja noch ein Fünfkopekenstück in der Tasche! Woher? ... »Hier, hier ... nimm es, Mütterchen! ...«
    »Gott schütze dich!« antwortete die Bettlerin mit weinerlicher Stimme.
    Er trat auf den Heumarkt. Es war ihm unangenehm, sehr unangenehm, mit Menschen zusammenzustoßen, er ging aber gerade dorthin, wo die meisten Menschen waren. Er hätte alles in der Welt hergegeben, um allein zu bleiben; aber er fühlte selbst, daß er keinen Augenblick allein bleiben würde. In der Menge stand ein Betrunkener; er wollte tanzen, fiel aber immer um. Die Leute umringten ihn. Raskolnikow drängte sich durch die Menge, sah den Betrunkenen eine Weile an und lachte plötzlich kurz auf. Im nächsten Augenblick

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