Nachrichten an Paul
März
Plötzlich wird mir klar: Ich bin eine wandelnde Telenovela, und zwar für meine Nachbarin Dona Ermelinda. Eine Telenovela mit einer täglichen Fortsetzung und deswegen kommt sie jeden Tag zwischen elf und zwölf vorbei, um mal zu hören, wie es mir so geht mit meinem Leben. Ist ja nicht weit, sie wohnt gleich die Straße runter, im nächsten Haus. Das Thema der Telenovela ist Anna und ihr neues Leben als Witwe. Gegeben werden die Überwindung der Trauer und die täglichen Verwicklungen. Nebendarsteller sind der schmierige Witwer und der perfekte Single. Da kann ich noch froh sein, dass sie nichts von Paul weiß.
Paul ist in meinen Gedanken und in meinem Herzen und vielleicht auch in meiner Seele, irgendwie, aber er ist für Dona Ermelinda nicht sichtbar, denn er wohnt weit weg. Und zwar richtig weit weg. In Vancouver. Das sind gute achttausend Kilometer, denn soweit sind Monsanto und Vancouver voneinander entfernt, jedenfalls ungefähr. Paul ist blond und hat blaue Augen, Paul ist total nett und hat Humor. Paul ist Übersetzer, genau wie ich, aber er übersetzt nicht nur, er arbeitet auch als Tourguide und als Statist in Filmen, denn Paul sieht auch noch gut aus und in Vancouver wird ja andauernd gefilmt.
So einen Mann sollte ich mir sofort aus dem Kopf schlagen, es sind ja nicht nur die achttausend Kilometer, die uns trennen, es sind auch noch die elf Jahre. Nach unten. Wenn man es von mir aus betrachtet. Und das ist wirklich peinlich. Ich meine richtig peinlich. Und deshalb bin ich ja so froh, dass Dona Ermelinda nichts davon weiß. Ich erzähle ihr viel, aber eben doch nicht alles. Und von Paul habe ich ihr lieber nichts erzählt.
Paul ist ein Souvenir meiner Reise, sozusagen. Und die Reise habe ich gemacht, um auf andere Gedanken zu kommen. Alle haben gesagt: Häng nicht nur zu Hause rum, mach was, gehe auf Reisen, lerne neue Leute kennen, das bringt dich auf andere Gedanken. Und das hat es in der Tat getan. In meinem Kopf sind jetzt andere Gedanken. Gedanken an Paul.
Paul hat gesagt, wir bleiben in Kontakt und wir können ja mal skypen, denn so bleibt man heute in Kontakt, per skype. Und nun warte ich darauf, dass wir skypen, aber es wird immer nichts.
Er schickt mir einen Kaffeebecher und fragt: in einer Stunde?
Ich schicke einen Smiley und ein Ja.
Aber dann ist er plötzlich weg und nicht mehr online. Zwei Tage später ist Paul dann wieder online.
Er skypt: heute um fünf?
Ich skype zurück: heute um fünf!
Aber es wird fünf und sechs und sieben und Paul skypt nicht. Und irgendwann ist Mitternacht und er hat sich nicht gemeldet. Ich mache den Computer aus und gehe ins Bett. Ich kann nicht schlafen. Ich stehe wieder auf. Ich mache den Computer wieder an. Ich schicke Paul eine Nachricht auf Facebook, die kriegt er dann einfach irgendwann.
Nanu, nun hat es irgendwie doch nicht geklappt, obwohl ich doch online war – na dann eben ein andermal, du meldest dich einfach, wenn du Zeit und Lust hast. Wer hätte gedacht, dass skypen so kompliziert sein kann!!! Meinst du, wir kriegen das nochmal hin? Beijinhos, Anna
*
Am nächsten Morgen sehe ich als Erstes nach, ob eine Nachricht auf Facebook da ist, ich weiß nicht, wie viele das morgens so machen, bestimmt ziemlich viele, das ist doch krank, das ist doch richtig krank, und es ist keine Nachricht da, natürlich nicht, kann ja gar nicht, ist ja klar, schon wegen dem Zeitunterschied. Da – ein skype – jemand ruft mich an. Mein Herz macht einen Sprung. Ich klicke skype an – es ist meine Mutter und mein Herz springt zurück. Sie will nur wissen, wie´s mir geht. Gut. Sie will wissen, wie´s Dona Ermelinda geht. Auch gut. Und Dona Ermelindas Mutter und Sr. José? Auch gut. Dann drückt sie irgendwelche Knöpfe und ist einen Moment weg und dann ist sie wieder da und dafür, dass sie schon über achtzig ist und im Altenheim wohnt, skypt sie ganz gut. Im Grunde besser als Paul. Weil der sich ja nicht meldet.
Dabei fand Paul mich auch nett. Ich habe ihn auf dem Treffen der Deutschen in Vancouver kennengelernt, zu dem mich Nicki mitgeschleppt hat. Damit ich andere Leute kennenlerne und auf andere Gedanken komme. Wir haben uns in der Backstage Lounge getroffen, auf Granville Island. Nicki wohnt in der achtzehnten Straße in Dunbar und wir sind den ganzen Weg zu Fuß gegangen, das ist ein ganzes Stück. Aber schön, weil man so viel sieht. Läden und Leute und überhaupt. Wir sind den ganzen West Broadway runter und haben Läden
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