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Verbrechen und Strafe (Schuld und Sühne)

Titel: Verbrechen und Strafe (Schuld und Sühne) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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Sohnes ahnte, als man angenommen hatte.
    Raskolnikow wußte lange nichts vom Tode der Mutter, obwohl der Briefwechsel mit Petersburg gleich nach seiner Ankunft in Sibirien in Gang gekommen war. Der Briefwechsel wurde durch Ssonja vermittelt, die pünktlich jeden Monat nach Petersburg an die Adresse Rasumichins schrieb und pünktlich jeden Monat eine Antwort aus Petersburg erhielt. Die Briefe Ssonjas erschienen Dunja und Rasumichin zuerst etwas trocken und unbefriedigend, aber schließlich fanden sie beide, daß man gar nicht besser schreiben konnte, denn diese Briefe lieferten schließlich doch eine vollkommene und klare Vorstellung vom Schicksal des unglücklichen Bruders. Die Briefe Ssonjas waren mit der alltäglichsten Wirklichkeit, mit der einfachsten und klarsten Schilderung des ganzen Zuchthauslebens Raskolnikows angefüllt. Man fand in ihnen weder eine Darlegung ihrer eigenen Hoffnungen noch Vermutungen über die Zukunft noch eine Beschreibung ihrer eigenen Gefühle. Statt aller Versuche, seinen seelischen Zustand und überhaupt sein ganzes Innenleben zu erklären, standen in den Briefen lauter Tatsachen, das heißt seine eigenen Worte, genaue Berichte über seinen Gesundheitszustand, die Wünsche, die er ihr bei ihrem Besuche äußerte, seine Aufträge und dergleichen. Alle diese Nachrichten teilte sie mit außerordentlicher Genauigkeit mit. Das Bild des unglücklichen Bruders trat schließlich ganz von selbst klar und deutlich hervor; hier waren Irrtümer ausgeschlossen, denn es waren lauter sichere Tatsachen.
    Aber wenig Erfreuliches konnten Dunja und ihr Mann aus diesen Nachrichten schließen, besonders im Anfang. Ssonja teilte immer mit, daß er ständig düster und wortkarg sei und sich fast gar nicht für die Nachrichten interessiere, die sie ihm jedesmal aus den Briefen, die sie erhielt, mitteilte; daß er manchmal nach der Mutter frage; und als sie ihm, nachdem sie gemerkt hatte, daß er die Wahrheit ahnte, ihren Tod mitteilte, so hätte selbst die Nachricht vom Tode der Mutter zu ihrem Erstaunen auf ihn keinen besonders starken Eindruck gemacht; so schien es ihr wenigstens nach seinem Außeren. Sie teilte unter anderem mit, daß er, obwohl er ganz in sich verschlossen zu sein scheine und sich von allen abgewandt habe, sein neues Leben dennoch sehr einfach und offen hinnehme; daß er seine Lage wohl begreife, in der nächsten Zeit keine Veränderungen zum Besten erwarte, keine leichtsinnigen Hoffnungen (die in seiner Lage doch so begreiflich wären) hege und sich fast über nichts in seiner neuen Umgebung, die seinem früheren Leben so wenig gleiche, wundere. Sie teilte auch mit, daß seine Gesundheit befriedigend sei. Er gehe zur Arbeit, der er nicht ausweiche, um die er sich aber auch nicht bewerbe. Gegen das Essen sei er gleichgültig, aber das Essen sei außer am Sonn- und Feiertag dermaßen schlecht, daß er schließlich gern von ihr, Ssonja, etwas Geld genommen habe, um seinen eigenen Tee zu haben; wegen des übrigen habe er sie gebeten, sich nicht zu beunruhigen, weil alle diese Sorgen ihn bloß ärgerten. Ferner teilte Ssonja mit, daß er im Zuchthause im gemeinsamen Raume mit den anderen untergebracht sei; die inneren Räume habe sie nicht gesehen, aber sie nehme an, daß es dort eng, häßlich und ungesund sei; daß er auf einer Pritsche schlafe, eine Filzunterlage habe und nichts anderes haben wolle. Daß er aber so schlecht und ärmlich nicht aus einer bestimmten, vorgefaßten Absicht lebe, sondern bloß aus Unachtsamkeit und äußerlicher Gleichgültigkeit gegen sein Schicksal. Ssonja gestand offen, daß er, besonders im Anfang, sich nicht nur für ihre Besuche nicht interessiert, sondern sich über sie fast geärgert habe, wortkarg, sogar grob zu ihr gewesen sei, daß aber mit der Zeit diese Zusammenkünfte ihm zur Gewohnheit geworden seien und er sich sogar gegrämt habe, als sie einige Tage krank gewesen sei und ihn nicht besuchen konnte. Sie sehe ihn an Feiertagen vor dem Zuchthaustor oder im Wachthaus, wohin man ihn für einige Minuten zu ihr rufe; an Wochentagen aber bei der Arbeit, entweder in den Werkstätten oder in der Ziegelbrennerei oder in den Schuppen am Ufer des Irtysch. Über sich selbst teilte Ssonja mit, daß es ihr gelungen sei, in der Stadt einige Bekanntschaften zu machen und Protektion zu finden; sie beschäftige sich jetzt mit Nähen, und da es in der Stadt fast keine Schneiderinnen gäbe, sei sie in vielen Häusern unentbehrlich geworden; sie verschwieg bloß, daß

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