Verbrechen und Strafe (Übersetzung von Swetlana Geier)
Geheimnisvolles und Interessantes über mich erzählt hat. Ich wage nicht, über den Eindruck zu urteilen, aber es war für mich jedenfalls sehr vorteilhaft. Bei der natürlichen Abscheu Awdotja Romanownas gegen mich und trotz meines immer finsteren und abstoßenden Aussehens tat ich ihr schließlich leid; ich tat ihr leid als ein verlorener Mensch. Und wenn ein junges Mädchen in ihrem Herzen Mitleidhat, so ist es für sie am gefährlichsten. Dann will sie unbedingt ›retten‹ und überzeugen und zum neuen Leben auferwecken und zu edleren Zielen anspornen, zu einer neuen Tätigkeit rufen – nun, man weiß ja, was man sich in dieser Art alles einbilden kann. Ich merkte sofort, daß das Vöglein selbst ins Netz fliegt, und machte mich auch meinerseits bereit. Mir scheint, Sie ziehen Ihre Stirn kraus, Rodion Romanowitsch? Tut nichts, wie Sie wissen, hatte die Sache keine ernsten Folgen. (Zum Teufel, wieviel Wein ich jetzt trinke!) Wissen Sie, ich bedauerte immer, von Anfang an, daß das Schicksal es Ihrer Schwester versagt hat, im zweiten oder dritten Jahrhundert unserer Zeitrechnung irgendwo als die Tochter eines kleinen Fürsten oder Regenten oder Prokonsuls in Kleinasien zur Welt zu kommen. Sie wäre zweifellos eine von jenen, die das Martyrium erduldeten, und hätte natürlich gelächelt, wenn man ihr die Brust mit glühenden Zangen gebrannt hätte. Sie hätte dieses Los selbst erwählt, aber im vierten oder fünften Jahrhundert wäre sie in die Ägyptische Wüste gegangen und hätte dort dreißig Jahre lang von Wurzeln, Verzückungen und Visionen gelebt. Sie lechzt und verlangt bloß danach, für irgend jemand ein Martyrium auf sich zu nehmen, und wenn man ihr dieses Martyrium nicht gibt, so ist sie imstande, aus dem Fenster zu springen. Ich habe etwas von irgendeinem Herrn Rasumichin gehört. Man sagt, er sei ein vernünftiger Bursche (worauf auch sein Familienname hindeutet, wahrscheinlich kommt er aus einem geistlichen Seminar); soll er nur Ihre Schwester beschützen. Mit einem Wort, ich glaube sie durchschaut zu haben und rechne es mir auch als Ehre an. Aber damals, das heißt zu Beginn einer Bekanntschaft ist man immer, wie Sie wohl wissen, leichtsinniger und dümmer; man hat eine falsche Vorstellung von den Dingen und sieht nicht das Richtige. Zum Teufel, warum ist sie auch so schön? Das ist nicht meine Schuld! Mit einem Wort, es fing bei mir mit einer sehr starken wollüstigen Erregung an. Awdotja Romanowna ist furchtbar keusch, sie ist es in einem unerhörten und noch nie dagewesenen Maße. (Beachten Sie, bitte, ich teile Ihnen dies über Ihre Schwester als eine Tatsache mit. Sie ist vielleicht krankhaft keusch, trotz ihres ganzen großen Verstandes, und das kann ihr schaden.) Da tauchte bei uns ein Mädchen auf, eine gewisse Parascha, die schwarzäugige Parascha, die man erst eben aus einem anderen Dorfe zu uns gebracht hatte, ein Dienstmädchen, das ich bisher noch nie gesehen hatte, sehr hübsch, aber unglaublich dumm: sie fing gleich zu weinen an, heulte, daß man es im Hofe hörte, und so kam es zu einem Skandal. Awdotja Romanowna suchte mich eines Tages nach dem Essen absichtlich allein in einer Allee im Garten auf und fordertevon mir mit brennenden Augen, daß ich die arme Parascha in Ruhe lasse. Das war, glaube ich, unser erstes Gespräch unter vier Augen. Ich hielt es natürlich für eine Ehre, ihrem Wunsche nachzukommen, gab mir Mühe, mich überrascht und verlegen zu stellen, und spielte, mit einem Wort, meine Rolle gar nicht schlecht. Nun begannen Beziehungen, geheimnisvolle Unterredungen, Moralpredigten, Belehrungen, Bitten, Flehen und sogar Tränen, glauben Sie mir, sogar Tränen! Solche Ausmaße kann bei manchem jungen Mädchen die Leidenschaft zur Propaganda annehmen! Ich schob selbstverständlich die ganze Schuld auf mein Schicksal, stellte mich als nach Erleuchtung lechzend und dürstend und wandte schließlich das sicherste und erfolgreichste Mittel, Frauenherzen zu erobern, an, ein Mittel, das niemals und bei niemand versagt und auf jede Frau ohne Ausnahme wirkt. Es ist ein bekanntes Mittel: die Schmeichelei. Es gibt in der Welt nichts Schwierigeres als Offenheit und nichts Leichteres als Schmeichelei. Wenn in der Offenheit auch nur ein Hundertstel Lüge steckt, so entsteht sofort eine Dissonanz, und die führt zu einem Skandal. Wenn aber in der Schmeichelei sogar alles Lüge ist, selbst dann ist sie angenehm und wird mit Vergnügen angehört; und wenn es auch ein rohes Vergnügen
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