Elke im Seewind
DIE FUCHSIE
Ja, es ist wirklich so — die ganze Sache fing mit einer Fuchsie an. Kennt ihr Fuchsien, diese wunderhübschen Topfpflanzen? Sie haben rote, herabhängende Blüten, die wie Glöckchen sind, die von vier hochgeschlagenen Flügeln getragen werden. Rosenrot sind diese Flügel, die Farbe der Glöckchen ist meistens violettrot, und die lang aus ihnen herausragenden Staubgefäße und die Stempel schimmern gleichfalls rosig. Die ganze Blüte schwebt an einem langen, dünnen Stengelchen, das unten in so etwas wie einer kleinen grünen Laterne endet, und diese ist es, an der die eigentliche Blüte sitzt, eben die Flügel mit dem Glöckchen.
Elke mag Fuchsienblüten gern. Wenn von ihrem Blumenstock Blüten abfallen, wirft sie sie nicht weg, sondern legt sie sorgfältig ausgebreitet zwischen Löschblätter in ein dickes Buch und preßt sie. Schade findet sie nur, daß die Farbe immer so schnell braun und unansehnlich wird. Sie wollte neulich ihrem Onkel Bernhard eine gepreßte Fuchsienblüte mitschicken und hatte sie auch schon oben auf den Briefkopf aufgeklebt, aber dann sah ihr das doch nicht hübsch genug aus, und sie ging daran, eine der Blüten, so wie sie frisch und schön am Blumenstock hingen, abzumalen. Es gelang ihr. Jedenfalls konnte ihr Onkel Bernhard durchaus erkennen, daß es eine Fuchsienblüte sein sollte.
Ja, Elke hat Freude an ihrer Fuchsie, und sie findet, sie hat wirklich Glück gehabt, daß es gerade ein Fuchsienableger war, den sie von Fräulein Brunkhorst geschenkt bekam. Fräulein Brunkhorst ist die Lehrerin, die Elke während ihrer ersten vier Schuljahre als Klassenlehrerin hatte, und als Fräulein Brunkhorst die Klasse dann zu Ostern abgeben mußte, weil sie an eine neuerbaute Schule versetzt worden war, schenkte sie jeder von ihren fünfundvierzig Schülerinnen einen kleinen Blumentopf mit einem eingepflanzten Ableger. Das waren Ableger von verschiedenen Kakteensorten und von „fleißigen Lieschen“, von Zimmerlinden, Clivien, Geranien, Begonien, Fuchsien. Fräulein Brunkhorst sagte zu den Kindern, daß sie sich sehr freuen würde, wenn sie ihre Ableger gut pflegten. Sie meinte, ob sie nicht verabreden wollten, in zwei Jahren wieder zusammenzukommen. Dann sollte jede ihre Pflanze vorweisen und die drei besten würden mit einem Preis ausgezeichnet. Alle Mädel hoben in begeisterter Zustimmung die Hand. O ja, das war fein! Welche von den fünfundvierzig Töpfen dann wohl die schönsten waren!
Ein leises Lächeln huschte über das freundliche, blasse Gesicht der erfahrenen Lehrerin. Sie dachte: Nun, alle fünfundvierzig Pflanzen werden in zwei Jahren ja bestimmt nicht mehr am Leben sein. Fünf der Mädel gehen nach den Ferien in die höhere Schule über und treten damit in eine ganz neue Gemeinschaft ein, drei sind sitzengeblieben. Die anderen siebenunddreißig Kinder bleiben zwar beisammen, bekommen aber eine neue Lehrerin, und wer weiß, wie schnell mit der alten Lehrerin auch das anvertraute Pflänzchen vergessen sein wird. Na, mal sehen, wie alles ausläuft. #
Nun mögt ihr denken, daß das mit der Pflege so eines Ablegers doch eine ganz einfache Sache war. Die Mutter begoß ihn eben oder die Oma. Die sorgten auch dafür, daß der Ableger umgepflanzt wurde, wenn er für seinen Topf zu groß wurde. Man selbst brauchte nach zwei Jahren dann nur den Topf unter den Arm zu nehmen, um zu zeigen, wie groß und schön er geworden war. Wenn man Glück hatte, kriegte man einen Preis.
Halt, ganz so einfach war die Sache nicht. Fräulein Brunkhorst hatte nämlich eine Bedingung gestellt: Mit den zwei Jahre alten Pflanzen mußte eine Art von kleinem „Lebenslauf“ abgegeben werden. Das heißt, die Kinder, die einen Preis bekommen wollten, mußten mindestens jeden Monat einmal kurz aufgeschrieben haben, was sie an ihrem Pflegling Besonderes beobachtet hatten.
Einmal im Monat nur? Das ist doch gar nichts, denkt ihr. Nun, warten wir ab. Ihr werdet euch noch wundern.
Sogar Fräulein Brunkhorst wunderte sich. Ratet einmal, wieviel Mädel es waren, die nach zwei Jahren mit ihrem Ableger und seinem Lebenslauf ankamen!
Es waren ganze fünf!
Anfangs konnte Fräulein Brunkhorst es gar nicht fassen. Sie hatte fest damit gerechnet, daß achtzehn bestimmt kommen würden. Nun waren es nur fünf. Vor allem bedauerte sie es deshalb so sehr, weil sie drei ganz großartige Preise zu vergeben hatte. Die Preise waren ihr von einer wohlhabenden Freundin zur Verfügung gestellt worden, die ihr einziges
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