Verbrechen und Strafe
wurde nachdenklich.
»Ach, ja, wir sind verschiedene Menschen!« rief er wieder aus. »Wir passen nicht zueinander. Warum bin ich nur hergekommen?! Nie, nie werde ich es mir verzeihen!«
»Nein, nein, es ist gut, daß du gekommen bist!« rief Ssonja. »Es ist besser, daß ich es weiß! Viel besser!«
Er sah sie voller Schmerz an.
»Ach, in der Tat!« sagte er, als hätte er es jetzt begriffen. »So war es ja auch! Also hör: ich wollte ein Napoleon werden, darum habe ich sie ermordet ... Nun, ist es dir jetzt verständlich?«
»N-nein«, flüsterte Ssonja naiv und scheu. »Aber ... sprich, sprich! Ich werde es verstehen, ich werde für mich alles verstehen!« flehte sie ihn an.
»Du wirst es verstehen? Nun, gut, wir wollen sehen!«
Er schwieg und dachte lange nach.
»Die Sache ist die: Einmal habe ich mir folgende Frage gestellt: Wenn zum Beispiel an meiner Stelle Napoleon wäre und er, um seine Laufbahn zu beginnen, weder Toulon, noch Ägypten, noch den Übergang über den Mont-Blanc gehabt hätte, wenn an Stelle dieser schönen und monumentalen Dinge ganz einfach eine lächerliche Alte, eine Registratorswitwe gewesen wäre, die man auch noch ermorden mußte, um aus ihrem Koffer Geld zu stehlen (für die Karriere, verstehst du?) – nun, würde er sich dazu entschließen, wenn er keinen anderen Ausweg gehabt hätte? Wäre er davor zurückgeschreckt, daß er schon gar zu unmonumental und ... und sündhaft gewesen wäre? Nun, ich sage dir also, daß ich mich mit dieser Frage furchtbar lange gequält habe, so daß ich mich furchtbar schämte, als ich schließlich dahinter kam (so ganz plötzlich), daß er davor nicht nur nicht zurückgeschreckt wäre, sondern es ihm nicht mal in den Sinn gekommen wäre, daß es nicht monumental sei ... und er nicht mal begriffen hätte, wovor er hier eigentlich hätte zurückschrecken sollen! Und wenn er keinen anderen Ausweg gehabt hätte, so würde er sie erwürgt haben, so daß sie nicht mal gemuckst hätte, ganz ohne Nachdenken! Nun, und ich ... ließ alles Nachdenken ... und tötete sie ... nach dem Beispiele der Autorität. Und es spielte sich auch genau so ab! Das kommt dir lächerlich vor? Ja, Ssonja, das ist wirklich das Lächerlichste dabei, daß es sich wirklich so abgespielt hat ...«
Ssonja kam es gar nicht lächerlich vor.
»Sagen Sie mir lieber offen ... ohne Beispiele«, bat sie kaum hörbar und noch scheuer.
Er wandte sich zu ihr um, sah sie traurig an und ergriff ihre Hände.
»Du hast wieder recht, Ssonja. Das ist alles Unsinn, fast leeres Geschwätz! Siehst du: du weißt ja, daß meine Mutter fast nichts hat. Meine Schwester hat zufällig Bildung genossen und ist verurteilt, als Gouvernante von Haus zu Haus zu ziehen. Alle ihre Hoffnungen ruhten auf mir allein. Ich studierte, konnte aber meinen Unterhalt nicht bezahlen und mußte zeitweise die Universität verlassen. Und selbst, wenn es sich noch weiter hingeschleppt hätte, könnte ich nach zehn oder zwölf Jahren (wenn die Umstände mir günstig wären) immerhin ein Lehrer oder Beamter mit tausend Rubel Gehalt werden ... (Er sagte das wie eine auswendig gelernte Lektion.) Bis dahin wäre meine Mutter vor Sorgen und Kummer zugrundegegangen, und so wäre es mir doch nicht gelungen, ihr endlich zu einem ruhigen Leben zu verhelfen ... Nun, und der Schwester könnte es noch viel schlimmer ergehen! ... Und was für ein Vergnügen ist es auch, sein Leben lang an allem vorbeizugehen und sich von allem abzuwenden, die Mutter zu vergessen und die Schmach der Schwester mit Ehrfurcht zu ertragen? Wozu? Um sie zu begraben und sich andere – eine Frau und Kinder anzuschaffen und dann auch sie ohne einen Pfennig Geld und ohne einen Bissen Brot zurückzulassen? Nun ... so entschloß ich mich, mir das Geld der Alten anzueignen und es, ohne meine Mutter zu quälen, für den Unterhalt während der ersten Universitätsjahre und für die ersten Schritte nach der Universität zu verwenden, und dies alles auf breiter Grundlage und radikal zu machen, um mir eine vollkommen neue Karriere einzurichten und auf einen neuen, unabhängigen Weg zu kommen ... Nun ... das ist alles ... Daß ich die Alte ermordet habe, war natürlich schlecht von mir ... nun ist's genug!«
In völliger Erschöpfung hatte er das Ende seiner Rede erreicht und ließ den Kopf sinken.
»Ach, das ist nicht das, das ist nicht das!« rief Ssonja voll Gram. »Kann man denn so ... nein, es ist nicht so, nicht so!«
»Du siehst doch selbst, daß es nicht so
Weitere Kostenlose Bücher