Verbrechen und Strafe
Mystiker bin?«
»Aha! Die Erscheinungen Marfa Petrownas! Nun, besucht sie Sie immer noch?«
»Ach, reden Sie lieber nicht davon; in Petersburg habe ich noch keine Erscheinungen gehabt, hol sie der Teufel!« rief er eigentümlich gereizt. »Nein, wollen wir lieber davon ... ja, übrigens ... Hm! Schade, daß ich so wenig Zeit habe und mit Ihnen nicht lange bleiben kann, schade! Ich hätte Ihnen schon manches mitzuteilen.«
»Was ist es denn, eine Weibergeschichte?«
»Ja, eine Weibergeschichte, eine ganz zufällige Sache ... nein, ich meine nicht das.«
»Nun, und das Abstoßende dieser ganzen Umgebung wirkt auf Sie schon gar nicht mehr? Haben Sie schon die ganze Kraft verloren, sich Halt zu gebieten?«
»Und Sie glauben wohl, daß Sie die Kraft haben? He-he! Ich mußte mich über Sie eben wundern, Rodion Romanowitsch, obwohl ich schon vorher wußte, daß es so kommen wird. Sie reden noch von der Ausschweifung und von der Ästhetik! Sie sind ein Schiller, Sie sind ein Idealist! Natürlich muß das alles so sein, und man sollte sich wundern, wenn es anders wäre; und doch ist es in Wirklichkeit so seltsam ... Ach, schade, daß ich so wenig Zeit habe, denn Sie sind ein höchst interessantes Subjekt! Übrigens, lieben Sie Schiller? Ich liebe ihn schrecklich.«
»Was sind Sie doch für ein Großtuer!« sagte Raskolnikow mit einigem Widerwillen.
»Bei Gott, ich bin es nicht!« antwortete Swidrigailow mit lautem Lachen. »Ich will nicht streiten, mag ich ein Großtuer sein; warum soll man es auch nicht sein, wenn es so harmlos ist? Ich habe sieben Jahre bei Marfa Petrowna auf dem Lande gelebt und bin darum froh, etwas plaudern zu können, da ich auf einen so klugen Menschen wie Sie gestoßen bin, auf einen klugen und im höchsten Grade interessanten Menschen; außerdem habe ich dieses halbe Glas Champagner getrunken, und es ist mir ein wenig zu Kopfe gestiegen. Vor allen Dingen gibt es einen Umstand, der mich sehr erregt hat, den ich aber ... verschweigen werde. Wo wollen Sie denn hin?« fragte Swidrigailow plötzlich erschrocken.
Raskolnikow schickte sich an, aufzustehen. Es war ihm so schwül und schwer und peinlich zumute, daß er hergekommen war. Von Swidrigailow hatte er die Überzeugung gewonnen, daß er der hohlste und flachste Schurke in der ganzen Welt sei.
»Ach! Bleiben Sie noch da«, bat ihn Swidrigailow. »Und lassen Sie sich wenigstens Tee bringen. Nun, bleiben Sie da, ich werde keinen Unsinn mehr schwatzen, das heißt: über mich. Ich will Ihnen etwas erzählen. Nun, wenn Sie wollen, erzähle ich Ihnen, wie mich eine Frau, wie Sie es so nennen, ›retten‹ wolltet Das wird eine Antwort auf Ihre erste Frage sein, denn diese Person ist Ihre Schwester. Darf ich es erzählen? So schlagen wir auch die Zeit tot.«
»Erzählen Sie; aber ich hoffe, daß Sie ...«
»Oh, machen Sie sich keine Sorgen! Außerdem kann Awdotja Romanowna sogar in einem so schlechten und hohlen Menschen, wie ich, bloß die tiefste Achtung wecken.«
IV
»Sie wissen vielleicht (ich habe es Ihnen übrigens selbst erzählt),« begann Swidrigailow, »daß ich hier wegen einer ungeheuren Schuld im Gefängnis saß und nicht die geringsten Aussichten hatte, sie zu bezahlen. Es lohnt sich nicht, mit allen Einzelheiten zu erzählen, wie mich damals Marfa Petrowna loskaufte; wissen Sie, bis zu welchem Grade von Bewußtlosigkeit eine Frau zuweilen lieben kann? Sie war eine ehrliche, gar nicht dumme, wenn auch vollkommen ungebildete Frau. Stellen Sie sich nur vor: Diese selbe eifersüchtige und ehrliche Frau hatte sich nach vielen schrecklichen Wutausbrüchen und Vorwürfen entschlossen, mit mir eine Art Vertrag zu schließen, den sie während unserer ganzen Ehe einhielt. Sie war nämlich bedeutend älter als ich und trug außerdem immer eine Gewürznelke im Munde. Ich hatte in meiner Seele so viel Gemeinheit und zugleich Ehrlichkeit, daß ich ihr geradeaus erklärte, ich würde ihr unmöglich ganz treu bleiben können. Dieses Geständnis machte sie rasend, aber meine rohe Offenheit schien ihr gefallen zu haben. – ›Also will er mich nicht betrügen,‹ dachte sie sich wohl, ›wenn er es mir selbst im voraus erklärt‹; für eine eifersüchtige Frau ist es aber das Wichtigste. Nach vielen Tränen wurde dann zwischen uns folgender mündliche Vertrag geschlossen: Erstens werde ich Marfa Petrowna nie verlassen und immer ihr Mann bleiben; zweitens werde ich ohne ihre Erlaubnis niemals verreisen; drittens werde ich mir nie eine ständige
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