Spaziergang im Regen
Kapitel 1
» N ein, Lisa. Das mache ich nicht mit. Das ist eine fürchterliche Idee.« Jessa Hanson runzelte die Stirn und tigerte verärgert durch den Raum, während sie sprach.
Lisa Guthrie, ihre Agentin, beobachtete sie über den Rand ihrer Brille hinweg und unterdrückte ein Lächeln, weil Jessa manchmal so berechenbar sein konnte. Sie hatte sich gegen die Frühstückstheke in Jessas großzügiger Londoner Loftwohnung gelehnt und sprach in ruhigem Ton zu ihrer Lieblingsklientin: »Im Gegenteil, es ist sogar eine sehr gute Idee. Genauso wie es damals eine gute Idee war, beim Verfassen der Biographie mitzuarbeiten, um so wenigstens ein bisschen Kontrolle zu behalten. Auf diesem Weg können wir am bestem jeder Sensationsheische Einhalt gebieten. Deine Lebensgeschichte ist dramatisch: die erste bekennende Lesbe, die als Musikdirektorin ein bedeutendes Symphonieorchester leitet; eine der jüngsten Musikdirektorinnen eines Orchesters in Nordamerika überhaupt; die erste klassische Musikerin mit einer CD an der Spitze der Pop-Charts; die erste Musikerin, deren Biographie auf beiden Seiten des Atlantiks an Nummer Eins auf den Bestsellerlisten für Sachbücher steht – du bist ein Star.«
»Ich hasse das Wort.« Jessas Stirnrunzeln verwandelte sich in einen finsteren Blick. »Außerdem, abgesehen von der Tatsache, dass ich Musikdirektorin des TSO sein werde, was allerdings auch erst in gut einem Jahr passiert, hatte all das überhaupt nichts mit mir zu tun. Die CD ist nur so hoch in den Pop-Charts, weil ich mit Norah Jones zusammengearbeitet habe.«
»Dein Name und dein Bild waren vorn auf der CD –«
»Noch so eine unsinnige Idee. Ich habe die CD nur produziert und bei einigen Stücken gespielt, weil Norah mal eine andere Richtung ausprobieren wollte. Es hat mir wirklich gut gefallen, gemeinsam mit ihr zu schreiben, aber ich hätte nie mein Einverständnis für das Cover-Foto geben sollen. Das hat doch einen vollkommen falschen Eindruck vermittelt.«
»Jessa, krieg dich ein. Ja, auf dem Foto ist dein Bauchnabel zu sehen, und einige in der Klassik-Gemeinde haben sich den Mund darüber zerrissen. Offensichtlich nehmen sie dich aber trotzdem noch für voll, sonst wärst du für die nächste Saison nicht so ausgebucht. Ganz zu schweigen von dem Zweijahresvertrag mit dem Torontoer Symphonieorchester. Mal ganz im Ernst: habe ich dich in meiner Funktion als deine Managerin jemals gebeten etwas zu tun, was sich dann als schlecht für deine Karriere herausstellte?«
Jessa schaute betreten zu Boden. Lisa war ja so viel mehr als nur eine Managerin. Je nach Bedarf war sie große Schwester, Ersatzmutter, Agentin und sogar Finanzberaterin. Inzwischen wurde sie zwar dafür entsprechend gut entlohnt, aber das war nicht immer so gewesen, und Jessa verdankte ihr mehr als irgendeinem anderen Menschen in ihrem Leben. Allerdings erwähnte Lisa nie all diese persönlichen Dinge, die sie für Jessa getan hatte, sondern erinnerte sie lediglich, wie auch jetzt wieder, an berufliche Entscheidungen, und auch dann nur, wenn sie der Meinung war, dass Jessa unvernünftig auf einen ihrer Vorschläge reagierte.
»Nein«, gab Jessa seufzend zu. »Du hast zwar einige verrückte Entscheidungen getroffen, über die Richtung, in die ich meine Karriere entwickeln sollte, aber die haben sich alle als vorausschauend erwiesen. Und wenn du meinst, dass ich die künstlerische Kontrolle über die Verfilmung meiner Lebensgeschichte behalten soll, dann liegst du da wahrscheinlich wieder richtig. Mir widerstrebt aber die Art und Weise, wie ich das machen soll. Die nächsten zwei Monate werden arbeitsreich und stressig: eine Woche in New York, dann eine Woche in Toronto – und dort nicht nur Dirigieren, sondern auch die Öffentlichkeitsarbeit anlässlich der Bekanntmachung meiner Berufung –, dann eine Woche Berlin und dann zurück nach London. Ich brauche da wirklich nicht noch zusätzlichen Stress durch eine selbstsüchtige Schauspielerin, die mir überallhin folgt und mich ständig von dem ablenkt, auf das ich mich konzentrieren muss!« Jessas Stimme war im Verlauf des letzten Satzes immer lauter geworden und hatte einen wehleidigen Quengelton angenommen.
»Jessa, du weißt doch gar nicht, ob sie selbstsüchtig –«
»Sie ist eine Schauspielerin! Und noch dazu erfolgreich! Hast du schon mal von einer erfolgreichen Schauspielerin gehört, die nicht selbstsüchtig ist und – in einer fast kranken Zweiteilung – außerdem Angst davor hat,
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