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Verbrecher und Versager.

Verbrecher und Versager.

Titel: Verbrecher und Versager. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felicitas Hoppe
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da eine zweite, auf der steht, wer wann kommt, wer wann geht, und alles nach klaren Stundenplänen, die Tage und Jahreszeiten regeln. Auch, wann man das westliche Wassertor öffnet, um die Waren vom Ende der Welt zu löschen. Das alles geschieht mit Aufwand und Zeit, alles wird doppelt und dreifach gedreht, gewendet, kontrolliert und geprüft, jede Plane wird einzeln gelüftet, womöglich steckt doch noch ein Schmuggler darunter, ein Spion, ein Priester, ein Sack voller Kreuze. Danach wird gewogen, geschätzt und gezählt, und jede Ware wird fünffach versiegelt. Was nützen Cleyer die Schlüssel zum Lager, wenn die Siegel doch unantastbar sind in einem Land, das verschlossen ist? Nur der Schattenschneider weiß, wie man an Waren kommt, wie man unter dem Siegel die Schatten wegstiehlt, ohne das Siegel selbst zu berühren. Ein Geheimnis, das er für sich behält, zu Recht, denn bei Gott ist er Monopolist.
    Und in welcher Sprache wird hier gesprochen? Stille Post! Man kennt hier die Welt nur vom Hörensagen, weshalb die Dolmetscher wahre Könige sind. Man glaubt, sie führen Befehle aus, man hält sie für Diener, doch in Wahrheit regieren sie heimlich die Insel. Sie führen die Aufsicht, sie verhandeln die Waren und diktieren Preise, die sie am liebsten selber erfinden. Das muss niemand wissen, der Kaiser ist weit. Was ist das mächtigste Handwerk der Welt? Das Dolmetscherhandwerk! Mit dem man die Zeit endlos totschlagen kann, indem man Geduld in die Waagschale wirft, erst Freundschaft, dann wieder Verwirrung stiftet, die Wirklichkeit pfropft und dreht und wendet. Hier wird beschnitten, da etwas bewässert, hier wird gefeuert, da wieder gelöscht, ein zweites, ein drittes Mal nachgefragt, was heute noch gilt, muss morgen nicht gelten. Vielleicht hat der Kaiser inzwischen schon längst ein neues Gesetz erlassen?
    Der Kaiser sagt es dem Zwischenkaiser, der Zwischenkaiser dem Unterkaiser, der Unterkaiser dem Hofmarschall, der Hofmarschall ruft den Oberdolmetscher, der Oberdolmetscher den Unterdolmetscher, der Unterdolmetscher den Dolmetscherlehrling, und der Dolmetscherlehrling ruft seinen Sohn, der wiederum Dolmetscher werden soll. So vererbt sich das Handwerk von Vater auf Sohn, und wenn der Sohn endlich Dolmetscher ist, worüber Jahre vergehen können, macht er sich auf den Weg nach Deshi-ma und sagt es den dortigen Dolmetschern weiter, die es ihrerseits Doktor Cleyer sagen, der es seinerseits seinem Hofmeister sagt, der behauptet, er hätte alles gesehen, in Wahrheit hat er nur manches gehört.
    Der Rest ist dazu erfunden, für das Wörterbuch einer Fahrt übers Meer, in dem es unter anderem heißt: «Die Japponer sind schlimme Füchse. Halb sind sie gut, und halb sind sie böse. Ich höre, der Kaiser ist gestorben, was gehts mich an, ich habe nichts gehört, man wird schon einen anderen wählen. Es sind sehr viele Soldaten im Reich, aber auch viele widersinnige Köpfe. Der Säbel kann sie schon bändigen, denn einem ist nur die Krone gerecht. Genug Japponisch geredet.»

    Der Zug steht noch immer auf offener Strecke, von den Männern hört mir keiner mehr zu, und der Schaffner ist nirgends aufzutreiben. Wahrscheinlich sitzt er in einem anderen Zug, und nur wir müssen -warten. Irgendwo in der Dunkelheit, in den Marathongruben von Sonderhausen, ohne Licht, ohne Frischluft und Trinkstation. Dabei wollte ich dringend den Schaffner bitten, mir ein zweites Mal Meisters Bild zu zeigen, den Mann, die Perücke, die Augen und Ohren, die man nicht sieht, umso deutlicher dafür Nase und Mund. Ist das der Mund eines ehrlichen Mannes? Eines Mannes, der Deutsch und Japanisch spricht, Portugiesisch und Ballisch, Javanisch, Malaiisch? Ist das der Gärtner der Wörterbücher, der Mann einer Frau, die in Sonderhausen immer noch in ihrer Hecke sitzt? Ist er womöglich nur Gärtner zum Schein, ein Spion, ein einfacher Totengräber?
    Aber das alles spielt keine Rolle. Genehmigungspflichtig ist jeder Landgang. Wer Deshima verlassen will, stellt einen Antrag, und wer wirklich das Festland betreten möchte, der sollte auch wissen, wovon er spricht. Ein falsches Wort, und schon ist er entlassen, womöglich für immer des Landes verwiesen. Besser, man richtet den Blick nach unten, denn Informationen stopft Gott am liebsten ins Kleinste, dorthin, wo sie niemand vermutet. Man muss lernen, wieder gebückt zu gehen, beiläufig die Schöpfung in Augenschein nehmen, wer das Kleine erkennt, erfährt auch das Große. Sprich über Pflanzen mit den

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