Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Verfuehrer und Rebell Horst Buchholz - Die Biographie

Verfuehrer und Rebell Horst Buchholz - Die Biographie

Titel: Verfuehrer und Rebell Horst Buchholz - Die Biographie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Sudendorf
Vom Netzwerk:
anderem Namen schon in der Weimarer Republik. In der NS-Zeit waren die Reisen verbunden mit Drill und ideologischer Indoktrinierung, fanden bei den Kindern aber zumeist großen Anklang. Die erweiterte Kinderlandverschickung dagegen war eigentlich eine Evakuierungsmaßnahme, durfte aber auf keinen Fall so genannt werden. Offiziell freiwillig, wurde natürlich Druck ausgeübt, damit von den Kindern einer Klasse nicht das ein oder andere zurückblieb. 5 Im Grunde war Maria Buchholz auch froh, dass wenigstens ihr Sohn nun nicht mehr den nächtlichen Angriffen ausgesetzt war. Buchholz selbst datiert seine Abreise aus Berlin auf das Frühjahr 1943. Mit anderen Kindern und Lehrern führte ihn die Reise nach Kuckerneese, einem kleinen Dorf in Ostpreußen nahe Tilsit.
    Auch wenn die Mutter die Abfahrt des Jungen mit gemischten Gefühlen gesehen haben wird, für den Sohn war diese Reise ein großes Abenteuer. Er wurde von der Hitlerjugend betreut, obwohl er noch nicht einmal zehn Jahre alt war, das Mindestalter für den Eintritt in das Jungvolk. Und dann die vielen Stunden im Zug – wir würde es sein in Ostpreußen? Mit rund 4000 Einwohnern war Kuckerneese ein kleiner Ort; es gab Gaststätten, Schulen, Sportplätze, Kirchen und eine Lehrerbildungsanstalt. Horst Buchholz kam bei der Familie des Müllers Paul Daniel unter. Die Mühle lief schon nicht mehr mit Windkraft, sondern mit Strom. Er gewöhnte sich schnell an die fremde Umgebung, an die im Vergleich zu Berlin ländlich-derben Verhältnisse und an die neue Sprache. Ein polnischer Arbeiter auf der Mühle brachte ihm das Schwimmen bei; er setzte ihn auf seinen Rücken und durchschwamm einen kleinen See in der Nähe des Ortes. Zurück schwamm der Pole auf dem Rücken und setzte Buchholz aufden Bauch. So sollte sich der Junge die Schwimmbewegungen einprägen. Wieder am Ufer angekommen, warf der Arbeiter ihn einfach ins Wasser; nun musste Buchholz selber schwimmen.
    Und was für ein Idyll war die Tierwelt: überall Schweine, Gänse, Hunde und Katzen. Ohne weiteres ließ sich Buchholz das Stopfen einer Gans oder das Abrichten der Hunde zur Rattenjagd beibringen. Das vollzog sich auf die allereinfachste Art. Eine Ratte und ein zweijähriger Hund wurden unter eine umgestürzte große Tonne gesetzt. Wenn der Hund den Kampf mit der Ratte lebend überstanden hatte, war er abgerichtet. Der Katzenplage wurde man auf derbe Weise Herr – die jungen Katzenbabys wurden im See ertränkt. 6
    Das alles war für Buchholz völlig neu; doch er machte die Gewohnheiten seiner Gasteltern zu seiner eigenen Haltung und wurde so mit dem Alltag des Landlebens schnell fertig. »Ich durfte bei der Schlachtung eines der Schweine mithelfen. Das Blut rühren, die Därme säubern, die später zur Wurstherstellung benutzt wurden. Die Schweineblase wurde aufgeblasen und getrocknet – wir hatten unseren ersten Fußball!« 7 Der Fluss Ruß und seine Niederung, der Deich und die Wiesen – das war das Reich des jungen Horst Buchholz mit seinen Freunden aus der Schule, den Kindern des Müllers und denen des Nachbarn Christeleit. Noch Jahre später erinnerte er sich an den Spruch »Christeleit, die Welt värjäet – von wegen diner Dämlichkäet.« In den Niederungen am Fluss wurde Indianer gespielt, in den Kanälen Hechte gestochen, die man am Abend auf den Wiesen bei offenem Feuer briet. »Im Winter ließen wir uns auf den größten und dicksten Eisschollen flussabwärts treiben. In den sumpfigen Teilen der Wiesen vor dem Deich bestand das Spiel darin, dass man geschickt mit unterschiedlicher Geschwindigkeit auf dem Eis herumlief,so dass es sich unter den Schritten bog, aber nicht einbrach. Wenn das aber passierte, begann ein großes Rettungstheater mit Leitern und Stangen, um den Unglücklichen vor dem Ertrinken zu bewahren.« Als seine Mutter ihn besuchte, konnte sie seinen breiten ostpreußischen Dialekt kaum verstehen.
    Anfang 1944 hatte die Idylle ein Ende. Vor den anrückenden russischen Truppen wurden die Kinder evakuiert; Buchholz kam zu einer Brauerei-Familie nach Sachsen. Mit einem Bierwagen belieferte die Brauerei die umliegenden Gastwirtschaften; wenn der Kutscher die Kisten in die Gaststätte brachte, musste Buchholz die Pferde halten oder ihnen den Hafersack umschnallen. Schon nach vierzehn Tagen wurde Buchholz mit anderen Kindern in ein Schloss nach Tabor (heute Tschechien) verlegt, wo er fast ein Jahr verbrachte. Es gab gelegentlich Visiten von SS-Ärzten, die untersuchten, ob sich

Weitere Kostenlose Bücher