Verfuhrt auf dem Maskenball
ihr? „Es geht mir gut.“ Mühsam holte sie Luft. „Dieses Kostüm ist perfekt, und du siehst darin so schön aus, Anna. Vielleicht wird Mamas Wunsch heute Abend erfüllt, und du findest einen Beau.“
Anna wandte sich wieder dem Spiegel zu. „Macht diese Farbe mich nicht blass? Ich finde sie zu dunkel.“
„Gar nicht“, erklärte Lizzie. „Du hast nie hinreißender ausgesehen.“
Anna betrachtete noch einen Moment lang ihr Spiegelbild und sah dann Lizzie an. „Ich hoffe, du hast recht. Lizzie? Du siehst blass aus.“
Lizzie seufzte tief. „Ich weiß nicht, ob ich zum Ball gehen kann. Ich fühle mich nicht gut.“
Anna sah sie ungläubig an. „Nicht? Du würdest deinen ersten Ball versäumen? Lizzie! Ich werde Georgie holen.“ Erschüttert lief sie aus dem Zimmer.
Anna war nur anderthalb Jahre älter als Lizzie, und die beiden Schwestern standen einander sehr nahe, aber nicht nur wegen ihres Alters. Lizzie bewunderte die Schwester, weil sie alles das war, was Lizzie eben nicht war. Sie konnte sich nicht vorstellen, wie es sein musste, wenn man so schön war und alle einen bewunderten. Und von den drei Schwestern war Anna die einzige, die schon geküsst worden war, und das nicht nur einmal. Viele Nächte waren sie schon aufgeblieben, um über Annas schockierende Erfahrungen zu sprechen, Anna sehr lebhaft, Georgie missbilligend, und Lizzie hatte sich gefragt, ob auch sie jemand küssen würde, ehe sie eine alte Jungfer war.
Lizzie betrachtete das smaragdgrüne Samtkleid, das auf dem Bett lag. Ihr Kostüm. Es war ein schönes, aber schlichtes Kleid mit langen Glockenärmeln und einem kleinen, eckigen Ausschnitt. Dennoch schmiegte es sich sehr kleidsam an ihren Körper. Lizzie ließ sich daneben nieder. Sie zog ein frisch gewaschenes Leinentuch aus ihrem Mieder und betrachtete die Initialen, die darauf gestickt waren: TDW. Dann umklammerte sie das Taschentuch, schloss die Augen und wünschte sich, die Begegnung vom Tag zuvor noch einmal durchleben zu können. Aber wie sehr sie sich das auch wünschte, es würde nichts ändern, das wusste sie. Eine einzige Chance war ihr gegeben worden, um Tyrell de Warenne zu beeindrucken, und obwohl sie nicht sehr erfahren war, wusste sie immerhin, dass ihr das nicht gelungen war.
Als Anna ins Schlafzimmer zurückkehrte, wurde sie von Georgie begleitet. Als Normannin verkleidet, trug Georgie eine lange lilafarbene Tunika mit einer goldenen Schärpe, das Haar zu einem einzigen Zopf geflochten. Prüfend sah sie Lizzie an. „Anna sagt, du führst dich seltsam auf. Aber das hast du schon getan, seit du gestern aus St. Mary’s zurückgekommen bist. Worum geht es? Dass du krank bist, glaube ich nicht.“
Lizzie schob das Tuch zurück in ihr Mieder. „Vor St. Mary’s hat er mich gestern gerettet“, flüsterte sie.
„Wer hat dich gerettet?“, wollte Georgie wissen. „Und wovor?“
Während Lizzie sprach, setzte Anna sich neben sie. „Ich wäre um ein Haar von einer Kutsche überfahren worden. Tyrell de Warenne hat mich gerettet.“
Beide Schwestern starrten sie ungläubig an.
„Und das erzählst du uns erst jetzt?“, rief Georgie aus.
Anna war genauso verblüfft. „Tyrell de Warenne hat dich gerettet?“
Lizzie nickte. „Das hat er getan. Und er war so freundlich! Er hat geschworen, die Schurken zu stellen und ihnen die Meinung zu sagen. Er wollte mich nach Hause bringen.“ Lizzie sah ihre ungläubigen Schwestern an. „Ich habe mich vollkommen kindisch aufgeführt. Ich habe ihm gesagt, er sei liebenswürdig, heldenhaft und so gut aussehend.“
Vorsichtig erkundigte sich Georgie: „Was genau ist jetzt das Problem? Hast du nicht dein ganzes Leben lang auf eine Begegnung mit ihm gewartet?“
„Hast du nicht gehört, was ich gesagt habe?“, rief Lizzie. „Er weiß genau, was ich empfinde!“
„Na ja, etwas diskreter hättest du sein können“, stimmte Georgie zu.
Lachend stand Anna auf. „Männer hören gern, wie stark und tapfer und attraktiv sie sind. Ich kann nicht fassen, dass er dich gerettet hat. Du musst uns alles erzählen!“
„Du könntest einem Gentleman sagen, dass ihm der Himmel auf den Kopf fällt, und er würde schwören, dass du die Wahrheit sagst“, meinte Lizzie. „Du könntest einem Mann sagen, dass seine Pockennarben anbetungswürdig sind, und er würde vor dir auf die Knie sinken. Ich habe Tyrell de Warenne nicht gerade geschickt geschmeichelt. Ich habe sogar gesehen, wie er anfing, über mich zu lachen. Ich habe mich
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