Verrat und Verführung
erschrocken.
Nun schämte er sich für seinen Temperamentsausbruch. „Verzeih mir, Christina. Ich befinde mich in einer grauenhaften Lage. Verdammt will ich sein, wenn ich wüsste, was ich dagegen unternehmen soll.“
„Du hast doch nicht wieder gespielt – und verloren? O William, hoffentlich nicht!“
„Nein, es ist noch schlimmer.“
„Erzähl es mir!“
„Heute Abend erwarten wir einen zusätzlichen Gast, Lord Rockley. Und was noch furchtbarer ist – er wird hier übernachten.“
„Lord Rockley? Ich glaube, von diesem Mann habe ich noch nie gehört. Wer ist er?“
„Ein Unruhestifter von der grässlichsten Sorte, Christina.“ Stöhnend strich er sein Haar aus der Stirn. „Warum muss er ausgerechnet heute auftauchen? Wo gerade alles so gut ging …“
„Wenn er dich dermaßen stört – wieso hast du ihn eingeladen?“
„Eingeladen?“ William musterte seine Schwester prüfend, als zweifelte er an ihrem Verstand. „Das tat ich keineswegs, er lud sich selber ein. Ich war in Middleton Lodge, um mir den Hengst anzuschauen, den Sir Gilbert Rosing neulich gekauft hat. Da kreuzte Rockley auf, und Gilbert erwähnte, er würde uns heute Abend besuchen. In ruhiger, entwaffnender Art teilte Rockley mir mit, er sei eben erst in unserer Gegend angekommen. Wegen der immer häufigeren Überfälle auf Reisende, die dem Lord Lieutenant große Sorgen bereite, sei er hierher geschickt worden, mit dem Auftrag, gegen die Aktivitäten der Straßenräuber vorzugehen. Und wo könne er den ortsansässigen Landadel besser kennenlernen als bei einer Zusammenkunft in Oakbridge Hall? Falls es mir nichts ausmache, wenn er meine Gastfreundschaft beanspruchen würde …“
Bestürzt hielt Christina den Atem an. „Oh! Was hast du geantwortet?“
„Was konnte ich schon sagen? Ich beteuerte, selbstverständlich würde ich mich geehrt fühlen und ihm nur zu gern eine Gästesuite zur Verfügung stellen. Da er bei seinem Bruder wohnt, dessen Haus fünf Meilen entfernt liegt, kann er so spät in der Nacht nicht zurückkehren.“
Mühsam versuchte Christina, ihre Angst zu bekämpfen und Ruhe zu bewahren. „Aber – das sind schreckliche Neuigkeiten. Meinst du, er hegt einen Verdacht? Ahnt er, was in Oakbridge vorgeht?“
„Nein, das glaube ich nicht. Wenigstens hoffe ich darauf. Was er denkt oder was er herausfinden will, weiß ich nicht.“ Unglücklich schüttelte William den Kopf. „Bei all diesen arglistigen Machenschaften stelle ich mich ziemlich ungeschickt an.“
„Darüber freue ich mich beinahe …“
„Dauernd habe ich das Gefühl, das schlechte Gewissen steht mir ins Gesicht geschrieben.“
„Das stimmt nicht, du musst nur versuchen, ruhig zu bleiben“, entgegnete Christina in besänftigendem Ton. „Wie ist er denn, dieser Lord Rockley?“
„Sehr kühl und gelassen. Früher war er beim Militär, in ranghoher Position. Und jetzt eilt ihm der Ruf voraus, er könnte sogar die tapfersten Herzen mit Angst und Schrecken erfüllen.“
„Sogar Mark Buckleys Herz?“, fragte sie leise und wünschte inbrünstig, es wäre so.
„Nun, das müssen wir abwarten. Bei seinen Feinden gilt er als einer der meistgehassten, meistgefürchteten Kommandanten, die jemals unter dem Duke of Marlborough dienten, dem Oberbefehlshaber des englischen Heeres. Sie halten Rockley für ein Monstrum, einen Barbaren, für den Teufel höchstpersönlich – noch gefährlicher, denn der Satan ist eine Geistergestalt. Und dieser Mann besteht aus Fleisch und Blut.“
Plötzlich herrschte in der Atmosphäre eine fast greifbare, beklemmende Ahnung von Gewalt und Tod. Von wachsendem Entsetzen ergriffen, starrte Christina ihren Bruder an. Dann sagte sie sich, kein Mensch könne so abgrundtief böse sein. Sie hoffte, was William ihr mitgeteilt hatte, würde nur auf übertriebenen Gerüchten beruhen, von Lord Rockleys Gegnern in Umlauf gesetzt. Als wollten sie ein Zeichen setzen, glitten in diesem Moment dunkle Wolken über das Haus hinweg und verdüsterten den Raum. Christina erschauerte.
Spürte sogar die Natur den Einfluss des Grauens, das soeben erwähnt worden war?
„O Gott, was du mir über Lord Rockley erzählt hast, klingt wirklich beunruhigend“, seufzte sie. „Und dieser Mann soll in Oakbridge übernachten?“
William nickte. „Während er mit mir sprach, schaute er mir direkt in die Augen. Das erschien mir wie eine Herausforderung. Vielleicht wollte er feststellen, wie er auf mich wirkt. Solchen Männern sollte man
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