Verschleppt
Sieben kleine Kinder stürmten hinter einem Ball her und rannten sich dabei immer wieder um. „Vielleicht sollte es Noah mal mit Klavierspielen versuchen“, alberte Kelly. Obwohl es nicht mehr so glühend heiß war wie in den letzten Tagen, war es immer noch proppenvoll am Strand, vor allem Familien prägten das Bild. Kinder tollten herum, spielten mit ihren Boogie Boards im Wasser, warfen Frisbee oder bauten einfach Sandburgen. Sara hatte kein Auge dafür, sie war Chefermittlerin bei der Polizei in San Diego und hatte die letzten Monate durchgearbeitet. Sie versuchte, eine lange Kette von Entführungsfällen aufzuklären – bisher vergebens. „Sara, was ist los?“ Kelly stupste ihre Freundin mit der Schulter an, die verträumt zu Noah guckte, der immer wieder im Sand lag, aber trotzdem den Spaß seines Lebens hatte. „Was meinst du?“, Sara wurde aus ihren Tagträumen gerissen. Kelly knuffte sie in den Arm. „Hallo?? Ich habe dich Wochen nicht zu Gesicht bekommen und du bist total abwesend. Was ist los? Seit Monaten wirkst du so traurig. Ich mache mir wirklich Sorgen. Ist es dieser Fall?“ Sara vergrub ihr Gesicht in ihren Händen, verweilte einen Moment und schaute Kelly dann an - den Tränen nahe. „Ich weiß nicht, was passiert ist. Ich habe nahezu alles falsch gemacht. Ich bin 32 Jahre alt, habe meine Ehe kaputt gemacht, meinen Sohn vernachlässigt und für was? Für einen Job, der mich nicht loslässt und den ich noch nicht einmal beherrsche.“ Sara starrte auf ihren Cappuccino-Becher und Tränen liefen ihre Wangen herunter. „Drei Kinder sind bereits verschwunden. Drei! Und was haben wir: Nichts. Absolut nichts! Und was tue ich? Ich habe diesen wundervollen Jungen und schaffe es noch nicht einmal, ihn an seinem Geburtstag zu besuchen.“ Kelly nahm ihre Freundin in den Arm. „Kleines, du bist eine tolle Polizistin. Das weißt du. Ich kenne niemanden, der mit so viel Leidenschaft seinem Beruf nachgeht.“ Kelly verweilte einen Moment, um ihren folgenden Worten noch mehr Gewicht zu geben. „Und schau dir Noah an. Er liebt dich über alles – egal, was du tust. Hör auf, dich zu bemitleiden. Du hast dich damals für diesen Weg entschieden. Jetzt musst du auch dazu stehen.“ Die Worte taten Sara sichtlich weh. Kelly war die Einzige, die ihr so etwas sagen konnte, ohne dafür angebrüllt zu werden. Seit mittlerweile elf Jahren kannten sich die beiden und sind im wahrsten Sinne schon durch dick und dünn gegangen. Sara fragte sich oft, warum Kelly immer noch für sie da ist und nicht schon längst das Weite gesucht hatte. Kelly sah Sara mahnend an, diesen Blick kannte sie nur selten von ihrer Freundin. Sie schlug einen ernsten Ton an. „Aber es ist nie zu spät, Sara. Nimm dir einfach mehr Zeit für ihn. Er wird dir sonst langsam entgleiten.“ Sara klammerte sich an ihrem Becher fest. Sie wusste, dass Kelly recht hatte. Beide schwiegen.
Die Meeresoberfläche breitete eine weiche Decke über die Küste, die Sonnenstrahlen zauberten einen glitzernden Film auf den Ozean. Sara genoss den Blick. Das Meer war ruhig, weder blau noch grün, nicht richtig schwarz, sondern irgendetwas dazwischen. Von Wellen war weit und breit nichts zu sehen und so saßen die Surfer auf ihren Brettern und alberten herum. Ein Schwarm Pelikane schwebte über die Wasseroberfläche, eine leichte Brise wehte den Geruch von salziger Luft ans Ufer. „Hallo Ladies.“ Sara und Kelly zuckten zusammen. Matt. Matt Cooper, Saras Exmann, also Beinahe-Exmann, stand hinter ihnen. Als er um sie herumtrat, blinzelten beide ihn gegen die Sonne an. Er beugte sich herunter und drückte den Frauen einen Kuss auf die Wange. Er hatte Coop dabei, den kleinen Mischlingshund, den sie sich damals noch gemeinsam aus dem Tierheim geholt hatten. Noah hatte so gebettelt, dass Sara und Matt schließlich weich wurden. Coop war so aufgeregt, dass er schwanzwedelnd Sara und Kelly abschleckte und fast vor Freude einen Herzinfarkt bekommen hätte. Kelly versuchte den kleinen Vierbeiner zu bändigen – vergeblich. Er zog unentwegt am Ärmel ihres Shirts. „Du kleines Fellknäuel, lass los. Sofort.“ Matt und Sara lachten.
„Hattet ihr einen schönen Tag?“ Matt setzte sich vor die beiden, zog seine Jacke aus und stocherte mit seinen Händen im Sand rum. Er trug einen grauen Kapuzenpulli und eine Jeans, die an den Knien zerrissen war. Sara lächelte. „Ja, wir hatten viel Spaß und haben viel zu viel Eis gegessen.“ Alle schmunzelten. Matt war ein
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