Verschollen
schluckte, ihm wurde mehr und mehr bewusst, wie viel Unbekanntes trotz Jessicas Brief vor ihm lag.
Hinter der zweiten Tür lag ein kleiner Serverraum, die Abstellkammer befand sich ganz am Ende des Flurs, hinter der dritten Tür. Sie war winzig, höchstens zwei Quadratmeter groß, und bot nichts Ungewöhnliches. Links ein Regal mit Kästen voll Mineralwasser und Erfrischungsgetränken, rechts ein Regal mit Bürobedarf wie leeren Ordnern, Papier und eine ganze Reihe von Stecknadeln. Ganz und gar nicht das, was Tristan sich unter einem Raum vorgestellt hatte, der ein Weltentor beherbergte. Aber vermutlich war das auch die Absicht der Paladine.
Die Stirnwand der Kammer war leer und an ihrem Fuß lag etwas Kleines. Tristan bückte sich und hob es auf. Es war das Amulett, klein und unscheinbar aus grauem Stein, verziert mit einigen Zeichen, die entfernt an Hieroglyphen erinnerten. Und nun? Er las noch einmal Jessicas Brief. Leg es auf den Boden und schmiere einen Tropfen deines Blutes darauf, lautete die Anweisung. »Ziemlich seltsam«, murmelte Tristan, nahm aber eine der Stecknadeln und pikste sich nach kurzem Zögern in den Finger. Er drückte auf die Fingerkuppe, bis sich ein dicker Blutstropfen bildete, und schmierte ihn etwas planlos auf das Amulett. Nichts geschah.
Er wollte sich schon ein zweites Mal stechen, als das Portlet zu vibrieren begann. Beinahe hätte er es vor Schreck fallen gelassen, dachte dann aber an Jessicas Worte und legte es vorsichtig auf den Boden, nahe der freien Wand, ungefähr so, wie er es vorgefunden hatte. Ein greller Blitz ließ ihn die Augen zusammenkneifen. Aus dem Portlet erhob sich ein Zylinder hellen Lichts, in dem sich nach kurzer Zeit vage ein Bild abzeichnete. Es sah aus wie das Innere einer Höhle oder eines Tunnels.
Tristan trat zögerlich einen Schritt näher, blieb aber auf Armlänge vor dem Durchgang stehen. Er streckte eine Hand aus und hielt sie dicht vor den Zylinder aus Licht. Ihm war, als fühle er einen leichten, angenehm warmen Luftzug. Tristan schluckte und steckte vorsichtig einen Finger in das Licht. Es gab keinen Widerstand, aber auf der anderen Seite war es spürbar wärmer. Er zog den Finger zurück, und während er noch seinen Mut zusammen nahm, um durch das Portal zu schreiten, schrumpfte der Zylinder schon wieder und verschwand in dem Portlet.
Tristan seufzte und nahm die Nadel wieder zur Hand. Dabei kam ihm ein Gedanke. Was, wenn er zurück wollte, musste er auf der anderen Seite auch sein Blut auf ein Portlet schmieren? Sicherheitshalber steckte er zwei Nadeln in seinen Rucksack, stach dann nochmals in einen Finger und verteilte sein Blut auf dem Amulett. Als der Zylinder sich aufgebaut hatte, rief er sich das Bild seiner Schwester vor Augen, wie sie mit all den Schläuchen und Geräten auf der Intensivstation lag, straffte sich und trat hindurch.
Auf der anderen Seite empfing ihn stickige Hitze, die Luft roch schlecht und es war gleißend hell. Tristan kniff die Augen zusammen und schirmte sie mit seinen Händen ab.
Die Sonne stand über ihm an einem strahlend blauen Himmel und angesichts der Hitze, die ihm schon den Schweiß aus den Poren trieb, erwartete Tristan sich in einer Wüste wiederzufinden. Doch um ihn herum war nur Geröll und vor ihm ein Abgrund. Dampf lag als Dunst in der Luft, und als er sich umsah, bemerkte er, dass das Portlet, durch das er gekommen war, vor einer Bergwand lag. Diese wölbte sich einige Meter über ihn. Durch die vor Hitze flirrende Luft erkannte Tristan, dass die Felswand sich in einer ungefähren Ellipse fortsetzte und wie ein Kegel um einen klaffenden Krater in ihrer Mitte schloss. Da begriff er, dass er sich in einem der Vulkankegel befand. Vermutlich in dem, der auf der Karte mit der Nadel markiert gewesen war.
Angst kroch in Tristan hoch, er hatte plötzlich das Gefühl, als müsse der Vulkan im nächsten Augenblick ausbrechen. Am liebsten wäre er losgerannt, doch wohin überhaupt? Er wagte sich ein paar Schritte vor. Vor der Stelle, an der das Portlet versteckt lag, gab es ein kleines Plateau, von dessen Rand sich ein schmaler Pfad an der Wand entlang schlängelte. Tristan verzog den Mund, denn der Weg war nur zwei Fuß breit und verlief so dicht an der Wand entlang, dass man sich an einigen Stellen sogar ein bisschen Richtung Krater lehnen musste, um weiter zu kommen. Aber was half es, einen anderen Weg gab es offensichtlich nicht und Tristan rief sich zur Ruhe. Vorsichtig tastete er sich Schritt für
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