Versunkene Inseln
umklammert. Der Anfang, dachte ich vor dem nächsten Anfall. Die Metamorphose zur Heuschrecke. Dann wurde ich erneut überschwemmt.
Als die Gischt der dritten Woge verdunstet war, stellte ich fest, daß Paul neben mir auf dem Bett saß, und seine Hände streichelten meine bebenden Schultern.
„Tia? Tia? Ist mit dir alles in Ordnung?“
„Nein.“
„Soll ich einen Arzt rufen?“
„Nein! Nein, er würde nur … nein, er könnte mir nicht helfen.“
„Bist du sicher?“
„Paul, um Himmels willen, ruf keinen Arzt!“ Die nächste Welle flutete mir entgegen. „Bitte, glaub mir einfach, es hat keinen Zweck. Ruf niemanden, bitte …“
„Kann ich dir dann wenigstens helfen?“
„Ja. Leg die Hand auf mein Kreuz und drück zu!“ Dann schwieg ich und konzentrierte mich ganz darauf, die Pein zu überstehen. Ich konnte Pauls Hand auf meinem Rücken spüren: Sie drückte hart zu, und die Qual ließ nach – ein bißchen, nicht viel. Diese Welle trieb mir die Tränen in die Augen, und Ärger und Bitterkeit waren plötzlich weit fort. Paul bearbeitete meinen Rücken und flüsterte:
„Tia, bitte, nicht schreien, bitte, laß mich einen Arzt rufen, bitte, schrei nicht, Tia, bitte.“
„Drück nur einfach zu, wenn der Schmerz zurückkommt“, sagte ich. Das Sprechen strengte mich an. Die Luft wehte pfeifend und zischend durch den Hals, als ich einige Male tief durchatmete. Erst dann konnte ich hinzufügen: „Es ist bald ausgestanden … gleich vorbei … drück einfach nur zu, jetzt, jetzt, JETZT !“
Er drückte. Zwei Stunden lang. Bis die Pein aufhörte, meinen Körper in kochende Qual zu baden, sich zurückzog und wie immer das mahnende Versprechen einer Rückkehr hinterließ. Ich lag ganz still und versuchte, wieder zu mir zu finden, während mir Paul sanft das schweißnasse Haar aus der Stirn strich.
„Ist es jetzt vorbei?“ frage er, als ich die Augen aufschlug.
„Einstweilen ja.“ Ich rollte mich herum und kümmerte mich nicht um seine mögliche Reaktion auf meinen Körper. Ganz schlaff lag ich da und ließ die restliche Anspannung aus mir herausrinnen. Auch Paul war schweißnaß und zitterte leicht.
„Hattest du große Schmerzen?“
„Ja.“
„Warum läßt du dich nicht von einem Arzt …“
„Paul, sie nehmen mich alle zwei Monate mit Mikroskopen unter die Lupe. Sie glotzen in jede Falte, sie schnüffeln in jedem Winkel von mir herum. Sie können nichts finden, was nicht in Ordnung wäre.“
„Wissen sie von den Schmerzen?“
„Nein“, sagte ich, ohne in die Einzelheiten zu gehen. Es ist ohnehin alles nur psychosomatisch – das gehört dazu, eines von den bedauernswerten Tieren zu ein. „Ich verwandle mich einfach bloß in eine Heuschrecke“, murmelte ich. „Man kann mir nicht helfen.“
„Eine Heuschrecke?“
„Nichts von Bedeutung, vergiß es.“ Ich schwang die Beine über die Bettkante und setzte mich auf. „Wieso bist du überhaupt in meinem Zimmer?“
„Ich habe dich gehört. Ich wollte gerade zu Bett gehen, als ich deine Schreie vernahm. Und als ich an die Tür klopfte, hast du nicht geantwortet. Also bin ich einfach reingekommen.“
„Oh. Ich dachte nicht, daß ich so laut gewesen bin.“ Ich zögerte. „Wo ist Jenny?“
„Bei Tobias, am Dock.“
Ich nickte und erinnerte mich an den geliehenen Hüpf er. Ich stand vorsichtig auf, ging ins Bad und schloß die Tür hinter mir. Als ich nach der Dusche naß ins Schlafzimmer zurückkehrte, rechnete ich nicht damit, daß Paul noch da war. Aber er saß auf dem Bett und beobachtete mich. Also blieb ich stehen und ließ ihn sich satt sehen. Ich wartete darauf, daß er irgendeine hastige Entschuldigung murmelte und die Flucht ergriff. Doch er rührte sich nicht, musterte mich nur. Dann erhob er sich, trat auf mich zu und küßte mich auf den Mund – und ich war so verblüfft, daß ich nicht darauf reagierte. Er zog
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