Viele Mütter heißen Anita
… Sie ist tot, und ihr Wunsch ist mir heilig …« Seine Hände zitterten, als er aus der Tasche einen Bogen nahm, das Testament Anitas, und es auffaltete. »Sie hat mir viel gesagt in diesem letzten Brief«, sagte er leise. »›Mein Leben ist nichts mehr wert. Ich würde es für meinen Sohn opfern. Vielleicht ist wenigstens mein Herz stark genug, seine fürchterliche Krankheit zu heilen …‹ Das hat sie gesagt, und es sind für mich heilige Worte. Sie wußte, daß sie sterben mußte, und sie tat es für mich.« Er schlug die Hände vor die Augen und weinte.
Pedro, der neben Juan stand, biß die Zähne zusammen. Er hob Juan empor und führte ihn zur Zeugenbank, wo er neben Dalias niedersank, der schützend den Arm um seine Schulter legte.
Als letzter der Zeugen kam eine ältere Frau aus Solana del Pino in den Saal. Sie war nicht geladen … sie hatte sich selbst gemeldet und stand nun in einem alten, schwarzen Kleid mit einer selbstgestrickten Mantilla vor dem Zeugentisch, ein wenig scheu, die Hände ineinander verkrampfend, sich ab und zu umblickend zu den gespannt sie anstarrenden Zuhörern.
General Campo sah die Frau mit zusammengekniffenen Augenbrauen an. Sein Gesicht war mehr erstaunt als ärgerlich – er beugte sich etwas vor, als er sprach, und seine Stimme war hart, abgehackt, befehlsgewohnt.
»Sie haben sich gemeldet, Señora?« fragte er. »Sie haben eine Aussage zu machen?«
»Ja.« Die alte Frau nickte mehrmals und legte die rauhen Hände auf die Barriere des Zeugenstandes. »Ja, Herr Richter.«
»Wer sind Sie?«
»Emilia Barco, Herr Richter. Aus Solana del Pino. Ich bin die Haushälterin des Pfarrers unserer Gemeinde.«
Ein Raunen ging durch den Saal – die Meute beugte sich vor, denn Señora Barco sprach leise, und man wollte kein Wort versäumen in diesem Prozeß.
»Die Haushälterin des Pfarrers? Sie kennen Professor Moratalla?«
Señora Barco blickte kurz zu dem Arzt hinüber, der ein wenig vorgebeugt sie nachdenklich betrachtete.
»Nein. Ich kenne den Herrn Professor nicht. Aber ich kenne die Torricos – ich kannte Anita Torrico sehr gut.« Sie atmete laut und krallte die Hände in das Holz des Zeugenstandes. »Ich habe gelauscht, Herr Richter … ich habe hinter der Tür gestanden und habe das Ohr an das Schloß gehalten, um besser hören zu können. Damals, als Anita bei dem Herrn Pfarrer war …«
»Señora Torrico war bei dem Pfarrer?« General Campo wischte sich über die Augen. »Wann war das denn, Señora Barco?«
»Kurz bevor sie wegging nach Madrid, um sich operieren zu lassen. Damals war sie im Zimmer des Pfarrers, und ich konnte alles hören, was sie sagte. ›Herr Pfarrer‹, hat sie gesagt, ›mein Sohn, der Juanito, ist so krank. Sein Herz ist in Gefahr, ich weiß es …‹«
Campos Kopf schnellte vor. »Sie wußte von der Krankheit?« rief er erregt.
»Ja.« schrie Dr. Osura und sprang auf. »Sie hat es mir gesagt, noch bevor ich ahnte, was es war. Als ich es dann selbst wußte und es ihr anvertraute, da nickte sie nur und sagte: ›Ich habe es immer gewußt …‹!«
»Es war an einem Sommertag, als sie zu dem Herrn Pfarrer kam«, erzählte Señora Barco weiter. »Und sie fragte den Herrn Pfarrer, ob es strafbar sei, wenn eine Mutter ihr Leben freiwillig für ihren Sohn gibt! Der Herr Pfarrer schimpfte noch mit ihr. ›Das wäre ein Selbstmord‹, rief er laut – ich konnte es gut hören. ›Und die Kirche verbietet es uns, Selbstmördern die Gnade des Herrn zuteil werden zu lassen! Du würdest sterben ohne Gebet, ohne Absolution, ohne in die geweihte Erde zu kommen!‹ – ›Aber mein Juanito ist so krank!‹ sagte Anita laut. ›Und ich kann ihn retten, wenn ich mein Herz für ihn gebe! Er kann weiterleben! Das wird mir Gott doch verzeihen …‹ Doch der Pfarrer blieb hart, er versuchte, es ihr auszureden, und Anita ging wieder aus unserem Haus, ohne Absolution, ohne Segen … Und sie hat sich doch geopfert …«
Señora Barco bedeckte das Gesicht mit den Händen und weinte. Ihr Schluchzen klang laut in dem stillen Saal, es war, als vergesse die Menge das Atmen.
Campo sah auf seine Hände. »Es war, bevor sie Professor Moratalla kennenlernte?«
»Damals war der Herr Professor für uns alle völlig unbekannt, auch für Anita Torrico. Wir hatten nie von ihm gehört … wir haben ja kein Radio und kaum eine Zeitung.«
Campo nickte. »Ich danke Ihnen.« Und die alte Frau setzte sich weinend auf die Zeugenbank, raffte die Mantilla fester um ihre Schultern
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