Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Vier Tage im November: Mein Kampfeinsatz in Afghanistan (German Edition)

Vier Tage im November: Mein Kampfeinsatz in Afghanistan (German Edition)

Titel: Vier Tage im November: Mein Kampfeinsatz in Afghanistan (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Clair
Vom Netzwerk:
jemals getan hatte, alles, was er noch tun könnte, wäre vorbei. Es war der vierte Tag im November, als ich abdrückte.
    Es wurde Mittag, und niemand hatte bisher angegriffen. Ich war so an das tägliche Tosen und Dröhnen der Waffen gewöhnt, dass ich beinahe eine Leere spürte. Aber als ich an die Schrecken der letzten Tage, das Bangen im Dreck und an meine höllische Angst dachte, verging dieser Gedanke schnell.
    Über Funk gab es eine neue Lagemitteilung: Der afghanische Geheimdienst meldet, dass alle Aufständischen im ganzen südlichen Chahar Darrah tot, geflohen oder übergelaufen sind.
    Ich hatte mitgehört und fühlte mich merkwürdig. Befreit, aber auch ungewohnt, ja verändert. Die letzten Tage hatten in mir ihren unauslöschbaren Eindruck hinterlassen. Jetzt schien ich mit der Ruhe überfordert zu sein. Isa Khel, Quatliam und die anderen Dörfer waren voller Feinde gewesen. Waren sie wirklich alle weg? Sollte es tatsächlich vorbei sein?
    Als Muli die Meldung bekanntgab, brachen wir in den größten Jubel aller Zeiten aus. Dieser Einsatz war geprägt von Extremen, aber etwas Großartigeres hatte ich noch nie erlebt. Dieses unbeschreibliche Glücksgefühl, das uns vollkommen vereinnahmte. Der Jubel, der Rausch des Adrenalins im Kopf. Die Welt war wunderbar. Auf einmal tauchten zwischen den Gebäuden im Süden die einheimischen Milizen auf, die ihre Arme mit gelbem Klebeband markiert hatten und in den letzten Tagen Stück für Stück in unsere Richtung marschiert waren. Sie schwenkten ihre Gewehre über dem Kopf.
    Wir standen auf. Zum ersten Mal seit vier Tagen standen wir unter der Sonne auf der Krone des Walls.
    Wir haben es geschafft!, schrie TJ überglücklich.
    Wir lachten laut und lagen uns in den schmutzigen Armen. Es war vorbei.
    Den ganzen nächsten Tag und die nächste Nacht mussten wir noch dort draußen verbringen. Auf einmal freute ich mich sogar auf den Muezzin, dessen Gesang die dauerhafte Ruhe durchbrach und nicht bloß eine Gefechtspause bedeutete. Erst am sechsten Tag wurden wir aus unserer Stellung ausgelöst. Dafür kamen Kräfte aus Mazar-e-Sharif, und wir verstanden das als gerechten Ausgleich für unsere unglückselige Fahrt nach Baghlan.
    Aber das Wichtigste passierte noch vorher. Unser Chef sorgte dafür, dass die Amerikaner den ausgebrannten Dingo bargen, der seit Karfreitag in Isa Khel lag. Im Gegenzug schleppten wir ein zerstörtes amerikanisches Gefechtsfahrzeug zum Vorposten, das die Amerikaner vor einigen Monaten bei Quatliam im Gefecht verloren hatten. Der Bau des Vorpostens war endlich so weit fertig, dass er benutzt werden konnte. Und die beiden zerstörten Fahrzeuge wurden in einer kleinen Zeremonie wieder an ihre jeweiligen Streitkräfte übergeben. Unser Chef hatte auch veranlasst, dass ein altes Laken mit den Namen der am Karfreitag Gefallenen zwischen den Wracks aufgehängt wurde. Diesen mutigen Männern widmeten wir den Erfolg der Operation Halmazag.
    Das Bedeutsamste war die Tatsache, dass es uns tatsächlich gelungen war, standzuhalten. Dort, wo die deutschen Soldaten seit 2001 ständig zurückweichen mussten, wo sie nach und nach immer mehr Terrain aufgegeben, wo sich die deutsche Armee in den letzten Jahren nach Gefechten jedes Mal zurückgezogen hatte, weil die Truppen nicht ausreichten, war es in einer gewaltigen gemeinsamen Anstrengung gelungen, den Gegner zu bezwingen und ihn aus einem seiner wichtigsten Rückzugsgebiete zu vertreiben. Wir hatten sie niedergekämpft. Ich hatte tatsächlich das Gefühl, dass sich der Einsatz einer langen Reihe deutscher Soldaten, die seit 2001 hier ihren schwierigen Dienst verrichteten, endlich gelohnt hatte.
    Natürlich dauerte es einige Zeit, bis auch ich das Ergebnis etwas nüchterner bewertete. Wer konnte schon wissen, ob die Aufständischen nicht im nächsten Frühling wieder erstarkt zurückschlagen würden. Wer konnte wissen, ob die Milizen, die zu uns übergelaufen waren, nicht wieder ihre Meinung ändern würden. Aber dieser Sieg war ein Zeichen. Ein Zeichen an alle Menschen, die hier lebten, dass wir wirklich dafür kämpften, ihr Leben und ihre Sicherheit zu verbessern. Ein Zeichen für die Menschen zu Hause, dass wir hier tatsächlich etwas verändern konnten. Ein Zeichen für mich, dass ich es durchstehen konnte. Und das war für den Augenblick unanfechtbar gelungen. Unser Chef hatte mit seiner offensiven Auffassung recht behalten.
    Als wir am Morgen des sechsten Tages endlich unsere Stellungen verlassen durften,

Weitere Kostenlose Bücher