Vilm 01. Der Regenplanet (German Edition)
synthetisieren, das jeden einzelnen Krümel von Wissen einbezieht. Auch Kenntnisse, von denen du bisher gar nichts gewusst hast. Bei den meisten davon dringt nicht einmal die Tatsache ins Bewusstsein, dass eine solche Information überhaupt existiert.«
Eliza betrachtete das skurrile Bild, das sich ihr bot. Das lebhaft gestikulierende hundeähnliche Eingesicht, der bewegungslos dasitzende Jungenleib, aus dessen Mund Informationen sprudelten. Dahinter prachtvoll leuchtende Pflaumen, blau und violett und gelb. »Zum Beispiel?«
Mit sechs Pfoten konnte man eine Menge Gesten machen, viel mehr als mit zwei Händen. Oder nur mit einer. »Wusstest du, dass die Gestrolche winzigleise Geräusche machen, während sie wachsen und sich gegen Wind und Regen zu behaupten haben? Das Geräusch selbst – ein ohne Hilfsmittel kaum wahrnehmbares Schmatzen – hörst du auch unter dem Einfluss von Blaurüben, du kannst es allerdings nicht einordnen. Die Kaktuswurzel liefert dir den Zusammenhang mit allem anderen. Außerordentlich beeindruckend und beängstigend, weil man – im Gegenteil zur Kaktuspflaume – sich an jede einzelne Sekunde dieses Zustandes haarklein erinnert. Glücklicherweise dauert er nur Sekunden, und die Kaktuswurzel ist äußerst selten.«
Elizas Augen hingen noch an den Pflaumenbildern, und sie versuchte, den Geschmack zurückzurufen. Es gelang ihr nicht. »Das ist doch märchenhaft, sich an so etwas erinnern zu können«, sagte sie.
Sdevan sah ihr, plötzlich ernst und ruhig geworden, in die Augen. »Ist es nicht«, sagte er. »Die Erinnerung ist da. Du hast lediglich keine Worte, sie zu beschreiben. Für diesen Eindruck von Ganzheit und Geschlossenheit hat unsere Sprache keine Ausdrücke. Es bleibt eine ebenso wundervolle wie quälende Erfahrung, die man niemandem richtig mitteilen kann. Noch weniger kann man das Wissen, das man aus solchen Momenten mitbringt, jemals beweisen. Man weiß es halt. Damit hat es sich.«
Ehe sich die nun einsetzende Stille ausbreiten konnte, griff Eliza in ihre Tastatur und setzte einfach alles zurück. Neustart. Genug Pflaumen. Für heute. Das System lud seine Grundeinstellungen hoch. Die Bildschirme feuerten buntes Licht. »Ich habe jetzt eine Menge gelernt über eure Früchtchen«, sagte sie. »Nun würde ich gern auf das zurückkommen, was Will veranlasste, dich zum Rapport hierher zu schicken.«
»Fast dachte ich, du hättest das inzwischen vergessen.« Sdevan ließ den Kopf hängen. Die Köpfe. Er hatte gesehen, was Eliza getan hatte, und es gefiel ihm nicht.
Eliza grinste und dachte an vergangene Zeiten voller Protokolle und Sicherungskopien. »Ich habe das Gedächtnis eines alten Bürokraten.« Sdevan sah sie mit einem Ausdruck an, der ihr klarmachte, dass sie es kaum jemals schaffen würde, ihm den Sinn dieses Wortes klarzumachen. »Welches Experiment war es nun, dass dich in dieses Verhör gebracht hat?«
Sdevan war froh, auf ihm vertrautes Gebiet zurückzukehren. »Wir beschäftigen uns mit Rätselfrüchten, die in tiefere Regionen unseres Wesens eingreifen. Die uns Möglichkeiten eröffnen, mit den Gestrolchen etwas zu tun, dessen Funktion uns nicht ganz klar ist. Das sind andere Sachen als die Quillen, mit denen man sich sexuelle Erlebnisse verschaffen kann, oder die Nüsschenpfirsiche, die das Bewusstsein quasi ins Gestrolch hineinversetzen. Interessant übrigens, Vilm aus der Sicht eines symbiotischen Busches zu sehen.«
Eliza wandte sich mit einem Ausdruck gesteigerter Langeweile ihren Kontrollen zu und startete allerlei Diagnoseroutinen. Dieses Vilmkind würde es nicht schaffen, ihr mit Details das Gespräch zu verkleistern. Allerlei Anzeigen huschten von Monitor zu Monitor.
Das Vilmkind fuhr fort, die Einarmige begeistert zuzutexten. »Da wäre der Butterdorn zu nennen, der die Wetterfühligkeit in die andere Richtung erweitert, nach unten, sehr aufschlussreich für Geologen. Es muss hier ausgedehnte unterirdische Wasseradern geben, vermutlich Höhlensysteme mit Flüssen und Seen und so weiter. Die außerordentlich seltene Karamelkose wiederum bringt den Kontakt, der zwischen A und J eines Vilmers besteht, mit dem eines anderen zusammen. Das ist interessant, verwirrend und kaum zu empfehlen, es ist nicht jedermanns Sache, in die innersten Gedanken und Gefühle eines anderen einzutauchen. Kann peinlich werden und hat manche Freundschaft für immer beendet.«
Eliza wollte keinesfalls in irgendeiner Weise aufdringlich erscheinen. Sie wartete darauf, dass
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