Viviane Élisabeth Fauville
sie Ihnen eine Skandalzeitschrift, in der viel von Scheidungen und Ernährungsstörungen die Rede ist. Sie empfinden Mitgefühl. Da sie Ihre Rührung spürt angesichts dieser Ãbel, die ihr wahrscheinlich auch nahegehen, überlässt sie Ihnen einen Bleistift für die Kreuzworträtsel. Sie füllen die Raster und radieren alles mit dem Gummi am Ende des Bleistifts wieder aus, und am nächsten Tag fangen Sie wieder von vorne an. Nach einigen Tagen haben Sie sich die Lösungen doch ein wenig eingeprägt und die Seite ist durchlöchert, so oft ist sie ausradiert worden.
Der Inspektor erscheint am Ende der Woche. Er verlangt noch zwei oder drei weitere Details zum Tagesablauf des 16. November, und Sie antworten mit einigem Ãberdruss. Sie hatten keine Stoppuhr dabei, Sie würden ihm ja wirklich gerne helfen, aber es gibt da Dinge, die sich sogar dem Wissen des Täters entziehen. Also gut, lassen wir es dabei, sagt er zum Abschluss und reicht Ihnen die zu unterzeichnenden Papiere. Sie unterschreiben, ohne zu wissen, was, und es ist Ihnen absolut gleichgültig.
Nach einer weiteren Woche sind Sie derart brav, dass man Ihnen Ihre Tochter wiedergibt. Sie taucht auf mitsamt ihrem Baby-Zubehör, der Wiege, dem Mobile, den Sachen zum Wechseln, und spielt den üblichen Streich: Bei ihrer Ankunft brüllt sie laut und verstummt augenblicklich, sobald Sie sie der Krankenschwester abnehmen. Das Wiedersehen ist herzlich, und Sie vergessen darüber noch ein wenig mehr Ihren juristischen Ãrger. Abgesehen davon wird Ihnen immer noch nichts gesagt. Die Spezialisten kommen Sie ab und zu besuchen, aber das Interesse an Ihrem Fall scheint abzuflauen. Bald gibt man Ihnen tagsüber keine Medikamente mehr, nur eine Pille abends, damit Sie gut schlafen.
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Pascal Planche.
Pascal Planche besitzt drei staubfarbene Anzüge. Der erste aus Flanell, für die schöne Jahreszeit, der zweite aus Mischwolle, für den Winter, der letzte aus Kunstfaser, um für alle Eventualitäten gewappnet zu sein (Flecken, Verzögerungen bei der Reinigung, sintflutartige Regenfälle). Seine Hemden sind passend gestreift, manchmal auch mit kleinen Karomustern versehen. Seine Schuhe gehören zu keiner identifizierbaren Gattung â Mokassins, Richelieus, Derbys, Tennis- oder Basketballschuhe oder Flip-Flops. Trotzdem liebt er sie und widmet ihrer Pflege seinen Sonntag. Nachdem er die Schuhpaare vor sich aufgereiht hat, greift er zu der Kiste, in der er sein Schuhputzzeug aufbewahrt. Auf der einen Seite Lappen, Schwämme, auf der anderen Schuhwichse und -cremes. Pascal breitet eine Zeitungsseite auf dem Parkett aus und nimmt die Putzarbeit in Angriff. Er geht etappenweise vor statt Paar für Paar, weil er der Ansicht ist, dass bei dieser Methode der Kopf besser ausspannt. An einem Schuh nach dem anderen vertreibt er die Flecken mithilfe einer weichen, langborstigen Bürste, reibt das Leder mit nährender Milch ein, bürstet noch einmal, poliert, wachst, reibt bis zum letzten Hochglanz und zur Vollendung jenes Vorgangs, der ihm eine gleichbleibende und verdiente Befriedigung verschafft.
Pascal wohnt in der Rue de lâArgonne, im 19. Arrondissement, an der Metrostation Corentin-Cariou. Montag morgens nimmt er die Linie 7, um sich zum Staatsarchiv zu begeben, wo er für den Urschriften-Bestand der Pariser Notare zuständig ist. Sein Büro ist eine zehn Quadratmeter groÃe Besenkammer mit Blick auf den schönen Innenhof des Archiv-Gebäudes. Sorgsam beschriftete Kisten sind vom Boden bis zur Decke aufgestapelt. Wenn es darum geht, ein Dokument wiederzufinden, zögert er keine Sekunde. Sein System ist perfekt organisiert, ein Irrtum oder Fehler ist ausgeschlossen.
Pascal ist sehr hilfsbereit. Er springt seinen überlasteten Kollegen zur Seite, trägt alten Damen die Einkaufstüten, gieÃt die Pflanzen der Abwesenden, gibt ihren Katzen Futter. Und dabei nicht schwer zu haben, fügen seine Freunde hinzu, die Ehemaligen vom Militärdienst, die er jeden Freitagabend trifft: Planche ist immer für alles zu haben, ein paar Gläser trinken, ins Kino gehen oder jemandem beim Umzug helfen, gleichwelchen FuÃballclub unterstützen, so lange das jemandem Freude macht, so dass man nie weiÃ, was er wirklich denkt. Im Ãbrigen ist man zu dem Schluss gekommen, dass er gar nichts denkt.
Infolgedessen steht Pascal seit siebeneinhalb Jahren unter medikamentöser
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