Voll streng, Frau Freitag!: Neues aus dem Schulalltag (German Edition)
soll’s. Ich kann ja auch nicht immer nur so sprechen, dass sie mich verstehen. Sonst hätte ich gesagt: »Letzte Stunde, ja, war Unterricht voll mies scheiße, weil manche so null Checkung und andere erst voll Professor und voll mies abgestrebt und dann – gähn, weil zu leicht.«
»Jedenfalls habe ich mir etwas überlegt. Ich möchte euch in Gruppen aufteilen. Jeweils drei Leute sitzen zusammen. Ich will, dass der Zufall entscheidet. Wir losen die Gruppen aus!«
Und ab da geht es mit der Stunde bergab. Steil bergab! Ich weiß nicht, wie, aber der Zufall, dieser miese Hund, lost doch tatsächlich Abdul, Bilal und Emre in eine Gruppe. Die anderen Schüler lachen. »Das wird eh nichts mit denen, Frau Freitag.« Dann die drei Gackermädchen Elif, Asmaa und Fatma – alle in einer Gruppe. Für sie gleich wieder ein Grund loszukichern. Die anderen Gruppen gingen so.
Der erste Aufgabenzettel steckt in einer Klarsichtfolie, die Aufgabenbeschreibung steht auf der Rückseite. Zunächst sollen die Schüler mündlich einen englischen Text anhand von Fakten über Frau Freitag ausarbeiten. Späterer Transfer – Fakten über sich selbst aufschreiben. Noch späterer Transfer – einen Text aus diesen Fakten SCHREIBEN. 100 Wörter.
»Äh, was sollen wir machen?«
Mustafa legt gleich den Kopf auf den Tisch, ohne etwas zu lesen, und macht die Augen zu.
Die Schüler, die sich nicht gleich auf den Tisch legen, holen ein Blatt raus. »Ihr sollt jetzt noch gar nichts schreiben. Da steht: Erst mündlich!«
Ich gehe von Tisch zu Tisch und erkläre die Aufgabe. Dann gehe ich von Tisch zu Tisch und zwinge jeden, mindestens einen Satz zu formulieren. Dann gehe ich von Tisch zu Tisch und erkläre die zweite Aufgabe. Dann bin ich das von Tisch zu Tisch rennende Deutsch-Englisch-Wörterbuch. Dann bin ich Zeitmahner und Ideengeber: »Dir fallen keine 100 Wörter zu deinem Leben ein? Was willst du denn später mal arbeiten?« Dann bin ich Korrekturleser und Welterklärer. »Nein, Emre, Bordell wird anders geschrieben. Da gibt es ein englisches Wort für. Meinst du hier, du hast pupils gekillt oder people ? Und du denkst, dafür bekommst du nur vier Jahre Haft?«
Am Ende der Stunde hat eine Handvoll Schüler einen Text mit 100 Wörtern und die meisten nicht mehr als: I live in Germany. I have one brother and one sister. My hobby is football play and basketball play.
Beim Klingeln bin ich fix und fertig. Aber wenigstens habe ich meinen Unterricht bis zu den Herbstferien vorbereitet, denn wir haben heute nur eine von sechs Aufgaben geschafft.
Es ist ein Junge
Ach, meine Klasse. Vielleicht arbeiten die ja nur in meinem Unterricht nicht. Frau Hinrich sagt, sie machen gut mit. Die neue Geschichtslehrerin fragt: »Welcher ist denn bei dir der fiese Gemeine?«
Ich sage: »Hab ich nicht. Die sind alle nett, und gemein ist keiner. Die verstehen sich auch untereinander prima. Das ist ja das Problem. Sie sind einfach zu fidel. Aber gemein? Nö.«
Sie sind nicht nur nicht gemein, sie sind auch irgendwie echt rührend.
Ein Kollege und eine Kollegin hatten sich vor Jahren ineinander verliebt. Ich habe das gar nicht gemerkt. Nachdem es die ganze Schule erfahren hatte und ich endlich auch, sage ich zu meinen Mädchen: »Wusstet ihr, dass Herr Schwarz mit Frau Sömke zusammen ist?«
Die Mädchen augenrollend: »Frau Freiiitag, das wissen wir schon seit Mooonaaaten! Erst sind sie immer zusammen nach Hause gegangen. Und außerdem hat er doch dauernd vor ihrer Klasse gewartet. Und wenn wir bei ihr hatten, dann kam er immer rein. Frau Freitag, haben Sie das echt nicht gemerkt?«
Meine Antennen in Sachen Liebe sind wahrscheinlich ein wenig eingerostet. Jedenfalls haben die beiden nun ein Baby bekommen, das erzähle ich meiner Klasse.
Die sind völlig aus dem Häuschen: »Wir müssen Karte kaufen!«
Gesagt – getan. Funda bringt eine kitschige Es-ist-ein-Junge -Karte mit in die Hausaufgabenstunde. Funda und Marina setzen sich zusammen und verfassen den Text. Parallel dazu wird Emre überredet, einen Rap zu schreiben. Ich sage, das Kind heißt Max, und alle schreiben und dichten schön über den neugeborenen Erdenbürger. Am Ende der Stunde stellt sich Funda vorne hin und liest vor: »Und dann haben Sie sich gefunden und die Liebe wuchs und ein Baby ist der schönste Beweis einer Liebe … und möge er das schwierige und doch auch abenteuerliche Leben mit alle seinen Problemen und seinen wunderbaren Momenten genießen und so weiter.«
Dann Emre:
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