Vom Schicksal bestimmt: Soul Seeker 1 - Roman (German Edition)
klar, dass da ein Verband ist. Meine beiden Unterarme sind vom Ellbogen abwärts mit einer Mullbinde umwickelt, meine nackten Finger tragen noch letzte Spuren des Tattoos.
Genau wie ich es mir gedacht habe – er liebt mich nicht.
Ich lasse den Kopf zurück aufs Kissen sinken, will nicht noch mehr sehen, als ich schon gesehen habe.
»Daire, du bist vollkommen ausgeflippt«, fährt sie in ihrer typischen Art fort. Ihr Gesichtsausdruck ist traurig, aber sie nimmt kein Blatt vor den Mund. »Du hattest einen Kollaps – einen totalen Zusammenbruch. Du warst regelrecht psychotisch, meinte der Arzt, der dich behandelt hat. Eine ganze Gruppe von Einheimischen musste helfen, dich von Vane wegzureißen, und als sie es geschafft hatten, bist du auf sie auch noch losgegangen. Zum Glück hat dich keiner angezeigt, und Vanes Presseagentin macht Überstunden, um den Zwischenfall zu kaschieren und aus den Schlagzeilen rauszuhalten. Aber du weißt ja, wie so was läuft in den Zeiten des Internets.« Sie zieht die Schultern hoch, doch ihre Augenwinkel wandern nach unten. »Ich fürchte, im Moment können wir nur hoffen, dass der Schaden möglichst gering bleibt.« Sie senkt die Stimme, bis ich sie kaum noch hören kann, und spricht mit mir, als wären wir Verschworene bei einem Komplott. »Vane behauptet, es wären keine Drogen oder Alkohol im Spiel gewesen, aber mir kannst du doch die Wahrheit sagen, Daire. Du kennst unsere Abmachung. Du erzählst mir, was auch immer du gemacht hast, und ich verspreche dir, dass du keinen Ärger bekommst.« Sie ist mir so nah, dass ich im Weiß ihrer Augen spinnwebartige rote Linien erkennen kann, die auf einen nicht lange zurückliegenden Weinkrampf schließen lassen. »Habt ihr beiden gefeiert? Ich meine, schließlich hattest du Geburtstag. Vielleicht wolltest du ja mal so richtig einen draufmachen?«
Ihre Stimme hebt sich am Ende des Satzes, erfüllt von plötzlicher Hoffnung. Sie sucht eine schnelle, einfache Erklärung – irgendetwas Konkretes, auf das sie die Schuld schieben
kann. Eine aus dem Ruder gelaufene Teenager-Orgie wäre ein kleineres Übel als die schreckliche, schwer verdauliche Wahrheit: Dass ich, nachdem ich Vane, eine Gruppe unschuldiger Passanten und mich selbst attackiert hatte, wie eine Wahnsinnige von Krähen, aufgespießten Köpfen und einem Haufen unheimlicher leuchtender Gestalten, die mich aus unerfindlichen Gründen einfangen wollten, gebrabbelt habe. Danach weiter um mich geschlagen, getreten und geschrien habe, bis ich ruhiggestellt wurde, fortgeschleppt und ans Bett gebunden, wo man mir ein Mittel gespritzt hat, das mir in den Adern brannte und mich in einen tiefen, traumlosen Schlaf versetzte.
Mein Gedächtnis ist jetzt wieder ganz klar. Ich kann mich an alles erinnern.
Ich sehe die Angst in Jennikas Gesicht und ihren verzweifelten Blick, mit dem sie mich anfleht, ihr zu sagen, was sie hören will, ihr etwas zu gestehen, was ich nicht getan habe und niemals tun würde.
Aber ich komme ihrer Bitte nicht nach. Kann ihr nicht nachkommen. Wir beide haben eine Abmachung. Sie vertraut mir, bis ich ihr einen Grund gebe, es nicht zu tun, und bis jetzt habe ich ihr Vertrauen nicht missbraucht. Vane ist der, der getrunken hat, ich habe nichts angerührt. Und was Drogen angeht: Man hat mir im Laufe der Jahre schon so viele angeboten, aber ich habe immer abgelehnt.
Was ich gesehen habe, war kein Wahngebilde. Ich war vollkommen nüchtern. Ich habe nicht halluziniert. Ich brauche mindestens einen Menschen, der mir das glaubt – und wenn ich meine eigene Mutter nicht überzeugen kann, wen denn dann?
Erschöpft flüstere ich: »Ich habe nicht gefeiert.« Ich sehe sie eindringlich an, verzweifelt bemüht, sie von der Wahrheit
zu überzeugen. »Ich habe nicht gegen unsere Abmachung verstoßen.«
Sie nickt und presst die Lippen zusammen, bis sie ganz weiß werden. Und obwohl sie meinen Arm tätschelt, um mich zu trösten, fühle ich ihre Enttäuschung. Es wäre ihr lieber, ich hätte unsere Abmachung gebrochen, als sich mit einem Problem auseinandersetzen zu müssen, das sie nicht versteht.
Die Stille, die sich über uns gesenkt hat, ist so drückend und angespannt, dass ich sie am liebsten durchbrechen würde, Jennika am liebsten davon überzeugen würde, dass die verrückten Dinge, die ich gesehen habe, wirklich existierten und keine Hirngespinste waren. In dem Moment klopft es an der Tür, dann folgt gedämpftes Gemurmel, und im Bogengang, der in mein Zimmer
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