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Vor dem Sturm

Vor dem Sturm

Titel: Vor dem Sturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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In diesen sei nämlich der Pastor hineingefallen. Aber die Auserwählten fielen immer nur, um ihr Glück zu finden. So auch hier. In eben diesem Graben habe die Mütze gelegen.
    Der Dolgeliner Pastor war inzwischen in einer Kornpreisunterhaltung mit Lewin begriffen; Tante Schorlemmer und der Konrektor ergingen sich in Parallelen zwischen Nordpol- und Südpolmission, während Turgany eben einen improvisierten Kinderball zu schildern begann, den er am Heiligabend mitgemacht hatte. Er ließ die kleinen Mädchen in ihrer Sprache sprechen und ahmte mit einem gewissen Darstellungstalent, das er hatte, die Wichtigkeit ihrer Mienen und ihrer Haltung nach. So ging die Unterhaltung. Des Justizrats Ideal war erreicht: keine Pausen.
    Turgany, um sein Bild um ein paar Striche weiter auszuführen, war ein starker Fünfziger und wußte sich etwas auf die Jugendlichkeit seiner Erscheinung. Abwehrend gegen alle Schmeichelei, duldete er doch die
eine
, die ihn
nach
dem Siebenjährigen Kriege geboren sein ließ. Es ergab dies für ihn einen Reingewinn von zehn Jahren. Er hielt sich gerade, trug eine goldene Brille und ein Toupet von flachsblonden Locken. Diese Locken hatten einst um andere Schläfen gespielt, und unser Freund, wenn ihn die Laune anwandelte, spöttelte selbst über diese blonde Fülle, die den echten Flachs seiner Jugend weit aus dem Felde schlug: er scherzte darüber, aber liebte es keineswegs, wenn andere seinem Beispiel folgten. Sein frisch erhaltenes Gesicht wäre regelmäßig zu nennen gewesen, wenn nicht sein linker Nasenflügel, der ihm abgehauen und von einem Paukdoktor schlecht angenäht worden war, eine Art Portal gebildet hätte, gerade groß genug, um einen gewöhnlichen Nasenflügel darunterzustellen. Das Kecke, das sein Wesen hatte, wuchs dadurch und paßte zu dem Zug übermütiger Laune, der um seine Mundwinkel spielte.
    Die beiden Geistlichen waren von sehr anderem Gepräge und ebenso verschieden untereinander wie von ihrem Freunde, dem Justizrat. Sie hatten nichts gemeinsam als den schwarzen Rock und das weiße Halstuch. Der Konrektor gehörte einer Richtung an, wie sie damals in märkischen Landen nur selten betroffen wurde: Strenggläubigkeit bei Freudigkeit des Glaubens. Ein mehrjähriger Aufenthalt im Holsteinschen, wo er den Wandsbecker Boten und später auch Claus Harms auf seiner dithmarsischen Pfarre kennengelernt hatte, war nicht ohne Einfluß auf ihn geblieben. Er sprach wenig über Christentum und Glaubensfragen, aber auch dem Profanen gab er eine Weihe durch die Art, wie er es behandelte. Er sah alle Dinge in ihrer Beziehung zu Gott; das gab ihm Klarheit und Ruhe. Wenn er sprach, war etwas Helles um ihn her, das mit seinem sonst steifen und pedantischen Äußeren versöhnen konnte.
    Der Dolgeliner Pfarrer entbehrte vieler Gaben, aber was er am gewissesten entbehrte, das war die Leuchtekraft des Glaubens. Er war für praktische Seelsorge, worunter er verstand, daß er den Bauern ihre Prozesse führte, und mußte sich's gefallen lassen, von Turgany abwechselnd als »Kollege«, Dolgeliner Orakel und Lebuser Markt- und Kurszettel bezeichnet zu werden. Er war weder Orthodoxer noch Rationalist, sondern bekannte sich einfach zu der alten Landpastorenrichtung von Whist à trois. Und nicht immer mit der nötigen Vorsicht. Einmal, so wenigstens erzählte Turgany, hatte er einer älteren unverheirateten Dame geklagt, daß er in Dolgelin keine »Partie« finden könne, was zu den ergötzlichsten Mißverständnissen Veranlassung gegeben hatte. Im übrigen war er ebenso brav wie beschränkt und wohlgelitten. Es fehlte nur der Respekt.
    Solcher Art waren die neuen Ankömmlinge. Der Justizrat erhob sich eben, um vor Renate und Marie den kleinen verwachsenen Musikenthusiasten zu kopieren, der an jenem Frankfurter Kinderballabend drei Stunden lang das Violoncell gespielt hatte, als Tante Schorlemmer, einen der Doppelleuchter ergreifend, das Zeichen gab, die Studierstube von den Verpflichtungen gesellschaftlicher Repräsentation frei zu machen. Die alte Dame selbst schritt erst dem angrenzenden, dann einem zweiten dahintergelegenen Zimmer zu; alle jüngeren Elemente der Gesellschaft folgten, Othegraven und selbst Pastor Zabel nicht ausgeschlossen.
    Nur Turgany und Seidentopf, die alten Freunde und Gegner, blieben in der Studierstube zurück.
     
Dreizehntes Kapitel
     
Der Wagen Odins
    Die Stunde vor Tische – nach einem alten Herkommen, von dem übrigens Turgany heute nicht ungern abgegangen wäre gehörte

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