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Vorläufige Chronik des Himmels über Pildau. Roman

Vorläufige Chronik des Himmels über Pildau. Roman

Titel: Vorläufige Chronik des Himmels über Pildau. Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Scharnigg
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umgab, als würde es seinen Verfall vor Blicken schützen wollen. Das Dach des Pfänderhofs lag seit einem Winter, an den sich niemand mehr erinnerte, zerdrückt im ersten Stock, eine ganze Seitenmauer war zu einem Steinhaufen zerfallen, auf dem Himbeeren wuchsen und der die Grenze war, bis zu der ich mich der Ruine nähern durfte. Die Scheune des Hofes war noch zu benutzen, sie hatte ein großes Tor, das ich allein niemals öffnen konnte. Das war die Pfänderscheune, und sie diente den Opis als Lagerhalle. Ich sagte damals zu allen Erwachsenen Opis, das war einfacher, und ich möchte es für diese Erinnerungen so beibehalten, bis sich die Dinge verkomplizieren.
    Es gibt übrigens ein altes Luftbild von Pildau, das lange über dem Brotkasten in unserer Küche hing, darauf sind beide Höfe noch ganz, und die Hofstange sieht viel dünner aus als heute. Man kann darauf auch erkennen, wie der Weg gleich nach unserer Hofstelle eine weite Rechtskurve macht, in einem Wald verschwindet, ganz woanders wieder hinausführt, und dann ist das Foto zu Ende, aber ich kann heute ergänzen, dass noch mal zwei Kilometer nur Maisfelder folgen, und dann erst wird der Weg wieder von anderen Häusern gefasst. Das war das Dorf, zu dem Pildau auf dem Papier gehörte, aber wir Menschen aus Pildau gehörten nicht zu dem Dorf. Mein Vater sagt, soweit er in den Aufzeichnungen zurückblättern konnte, waren die Pildauer im Dorf nicht gern gesehen, und umgekehrt. Der mäßig erfolgreiche Papst Poppo konnte nichts dafür, die Dinge mussten sich etwas später quergelegt haben, und daran würden wir Honigbrods mittelfristig wohl nichts ändern. Wir unternahmen auch keine Anstrengungen in diese Richtung.
    Einmal, es war noch vor meiner Geburt, aber die Geschichte wurde stets so erzählt, dass ich alle Zeit in dem Gefühl lebte, es wäre erst vor zwei Jahren gewesen, einmal hatte es tatsächlich den Versuch gegeben, unsere Hofstelle besser anzubinden an das Dorf und die Dorfstraße, die erst noch zu weiteren Dörfern führte und klein blieb, bis schließlich ein Ort kam, der mehr Straßen hatte, Parkplätze und Eisenbahn, und in dem das begann, was für mich das »weg« in »wegfahren« bedeutete. Es waren also an einem linden Märztag Männer gekommen, so ging die Geschichte in der Version meines Großvaters, er betonte immer den linden Märztag, Männer vom Vermessungsamt. Sie hatten Holzstäbe in die brachliegenden Felder gerammt, wo die neue Straße verlaufen sollte, und das allein dauerte zwei Wochen. Dann verschwanden die Männer, dafür kamen Frühling und Sommer, und die Stangen, die unsere Straße werden sollten, standen lustig in Mais und Gerste. In den ersten Septembertagen, früher als sonst, kamen die Mähdrescher der Bauern aus dem Dorf, und danach waren die Stangen verschwunden, und es wurde nie wieder versucht, etwas anderes als einen ausgewaschenen Feldweg nach Pildau führen zu lassen. Ein Glück, sagte mein Großvater, wann immer er die Geschichte erzählte, und dann lachte er, und es war ein seltenes, heimatliches Geräusch, in das ich mich verkriechen konnte wie in meine bettwarme Decke.
     
    Ich denke heute, dass wir anfangs in Pildau einfach vergessen waren. Alles, was sich vielleicht an uns erinnerte, strandete in dem mürrischen Dorf, in dem es keinen Wegweiser und kein Schild gab, das auf uns verwies. Meistens waren sogar die Kurve der Landstraße, an deren Scheitel unser Feldweg abging, und die Stelle, an der unser Briefkasten stand, nicht gemäht worden, sodass hinter Spitzwegerich und Wiesenschaumkraut nichts darauf hindeutete, welche Bestimmung der Weg noch hatte. Die Opis taten manches dafür, dieses Vergessen zu pflegen, weil es ihnen geruhsamer erschien als Aufmerksamkeit an diesem kleinen Platz, an dem sie einigermaßen freiwillig lebten und ich aufwuchs, unfreiwillig, aber ausgestattet mit jenen Eigenschaften, die ein Kind auch unter widrigen Umständen groß werden lassen: Bedürfnislosigkeit und der Bereitschaft, sich mit allem zu arrangieren. Ich wusste noch nichts vom ganzen Rest jenseits des Wiesenschaumkrauts.
     
    Ging man auf einem kleinen Trampelpfad den steilen Berg hinter dem Weiher hinauf, gelangte man in einen Wald aus ganz dünnen Eichen und Buchen, der die Kuppe des steilen Berges bewuchs wie ein Haarschopf. Einen Sturm merkten wir am Hof immer zuerst, wenn er in diesen kleinen Wald fuhr und ein breites Geräusch machte, von dem der Vater sagte, es klänge, als würde sich eine hohe Welle auf voller

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