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Vorsatz und Begierde (German Edition)

Vorsatz und Begierde (German Edition)

Titel: Vorsatz und Begierde (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P. D. James
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Gliedern, durch Raum und Zeit, endlos lange wieder herabfiel. Dann spürte sie das Aufklatschen im Wasser und eine Kälte, so eisig, daß sie ein paar Sekunden lang überhaupt nichts empfand. Sie kam erst wieder zu sich, als sie auftauchte und keuchend um Atem rang, ohne noch etwas von der Kälte zu spüren, nur die Enge eines Stahlbandes, das ihr die Brust zerdrückte, entsetzliche Angst und das verzweifelte Bemühen, den Kopf über Wasser zu halten, um nicht zu ertrinken. Irgend etwas Hartes stieß gegen ihr Gesicht und trieb neben ihr im Wasser. Mit beiden Armen um sich schlagend, vermochte sie sich schließlich an eine Holzplanke zu klammern, die von ihrem Boot zu stammen schien: wenigstens eine kleine Chance. Mit beiden Armen legte sie sich darauf und empfand die Tatsache, daß sie sich nicht mehr so furchtbar anstrengen mußte, wie einen Segen. Inzwischen war sie auch zu logischem Denken fähig. Die Planke hielt sie möglicherweise über Wasser, bis es hell wurde und sich der Nebel lüftete. Bis dahin aber war sie längst tot, gestorben an Unterkühlung und Erschöpfung. Also blieb ihr nur die Möglichkeit, irgendwie zur Küste zurückzuschwimmen, aber in welcher Richtung lag die Küste? Wenn sich der Nebel hob, würde sie die Lichter sehen können, vielleicht sogar das Licht aus dem Caravan. Neil würde da sein und ihr winken. Aber das war ein sehr törichter Gedanke. Der Caravan war meilenweit entfernt. Neil würde sich inzwischen furchtbare Sorgen machen. Und sie war immer noch nicht mit den Kuverts fertig geworden. Timmy weinte vermutlich, weil sie nicht da war. Sie mußte unbedingt zu Timmy zurück.
    Zu guter Letzt jedoch erwies sich das Meer als barmherzig. Die Kälte, die ihre Arme so erstarren ließ, daß sie sich nicht mehr an die Planke zu klammern vermochte, ließ ebenso ihren Geist erstarren. Als der Scheinwerfer sie entdeckte, verlor sie bereits das Bewußtsein. Jenseits von Gedanken oder Ängsten trieb sie im Wasser, als das Boot wendete und mit voller Kraft in ihren Körper hineinfuhr. Dann gab es nur noch Stille und Dunkelheit und eine einzelne Holzplanke, die sich sanft auf den rotgefärbten Wellen wiegte.

45
    Es war nach 8, als Rikkards am Samstag abend nach Hause kam, aber es war dennoch früher als gewöhnlich, und so hatte er zum erstenmal seit Wochen das Gefühl, daß ein Abend vor ihm lag, der ihm einige Wahlmöglichkeiten ließ: ein gemütliches Essen, Fernsehen, Radio, ein gemächliches Erledigen liegengebliebener Haushaltspflichten, ein Anruf bei Susie, zeitiges Schlafengehen. Aber er war ruhelos. Mit ein paar Stunden Müßiggang konfrontiert, wußte er nicht, was er damit anfangen sollte. Einen Augenblick lang überlegte er, ob er vielleicht allein zum Essen ausgehen sollte, aber die Mühe des Auswählens, die Kosten und sogar die lästige Vorbestellung schienen ihm in keiner Relation zu stehen zu dem, was ihn dafür an Genüssen erwartete. Er nahm eine heiße Dusche; sie war wie eine rituelle Reinigung von seiner Arbeit, von Mord und Versagen, durch die er dem Abend, der vor ihm lag, eine gewisse Bedeutung, ein gewisses Vergnügen verleihen konnte. Nachdem er sich umgezogen hatte, öffnete er eine Dose gebackene Bohnen, grillte vier Würstchen und zwei Tomaten und ging mit seinem Tablett ins Wohnzimmer, wo er beim Essen fernsehen konnte.
    Um zwanzig nach 9 schaltete er den Fernseher aus und blieb mit dem Tablett auf dem Schoß noch einige Minuten still sitzen. Ich muß wie eins von diesen modernen Gemälden aussehen, dachte er, Mann mit Tablett, eine steife Gestalt, reglos in einer eigentlich normalen, aber anomal, ja unheimlich dargestellten Umgebung. Während er dasaß und versuchte, wenigstens genügend Energie zum Abwaschen aufzubringen, überfiel ihn wieder die vertraute Niedergeschlagenheit, das Gefühl, Fremder im eigenen Haus zu sein. Selbst in der Larksoken-Mühle, in dem vom Kaminfeuer beleuchteten Raum mit den Steinwänden, wo er Dalglieshs Whisky getrunken hatte, hatte er sich wohler gefühlt als in seinem eigenen Wohnzimmer, in diesem vertrauten, fest gepolsterten Sessel, wo er sein eigenes Essen verzehrte. Dabei war es nicht nur Susie, die ihm fehlte, ihre hochschwangere Gestalt im Sessel gegenüber. Nein, er begann unwillkürlich die beiden Zimmer zu vergleichen, nach einem Anhaltspunkt für seine verschiedenen Reaktionen auf eine sich vertiefende Depression zu suchen, für die das Wohnzimmer zum Teil Symbol, zum Teil Ursache zu sein schien. Es lag weder daran, daß

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