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Vorsatz und Begierde

Vorsatz und Begierde

Titel: Vorsatz und Begierde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P. D. James
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einem halben Jahr gesehen, als dieser, die zusammengeschnürten Malutensilien umgehängt, allein den Strand entlang gewatet war. Die Veränderung, die mittlerweile in dem Menschen vorgegangen sein mußte, bestürzte ihn. Blaney war hager, gut einen Meter achtzig groß, trug zerschlissene Jeans und ein kariertes Wollhemd, das fast bis zur Taille aufgeknöpft war. Die langzehigen, knochigen Füße steckten in Sandalen. Seine Miene war düster, das rote Haar zerzaust, der Bart wirr. Die Augen waren blutunterlaufen. Wind und Sonne hatten das knochige Gesicht gegerbt. Dennoch sah man an den hervortretenden Backenknochen und den Schatten unter den Augen, daß er zutiefst erschöpft war. Dalgliesh bemerkte, wie Theresa ihre Hand zwischen seine gekrümmten Finger zwängte, während eins der Zwillingsmädchen sich an ihn schmiegte und mit beiden Armen sein Bein umklammerte. Wie abschreckend er auch auf Außenstehende wirken mochte, seine Kinder hatten keine Angst vor ihm, dachte Dalgliesh.
    »Tag, Ryan«, sagte Alice Mair gelassen, ohne eine Erwiderung abzuwarten. Sie deutete mit dem Kopf auf das Porträt.
    »Beeindruckend. Was haben Sie mit dem Bild vor? Ich kann mir nicht vorstellen, daß sie Ihnen saß oder es in Auftrag gegeben hat.«
    »Sie brauchte mir nicht zu sitzen. Schließlich kenne ich ihr Gesicht. Ich stelle es am 3. Oktober in Norwich aus, auf der Ausstellung zeitgenössischer Kunst, sofern ich’s dort hinbringen kann. Mein Lieferwagen hat nämlich den Geist aufgegeben.«
    »Nächste Woche fahre ich nach London«, sagte Alice Mair.
    »Ich könnte es mitnehmen und abgeben, wenn Sie mir die Adresse sagen.«
    »Wenn Sie möchten«, entgegnete er. Auch wenn die Worte nicht gerade höflich klangen, schwang so etwas wie Erleichterung mit. »Ich stelle es verpackt und adressiert ins Atelier, links neben die Tür. Der Lichtschalter ist gleich darüber. Sie können’s abholen, wann immer Sie wollen. Sie brauchen nicht anzuklopfen.« Die letzten Worte klangen fast wie ein Befehl oder eine Warnung.
    »Ich rufe Sie an, sobald ich weiß, wann ich fahre«, erwiderte Miss Mair. »Übrigens – ich glaube nicht, daß Sie Mr. Dalgliesh schon kennengelernt haben. Er ist Ihren Kindern auf dem Fahrweg begegnet und nahm sie mit.«
    Blaney bedankte sich nicht. Er zögerte einen Augenblick und streckte dann die Hand aus, die Dalgliesh ergriff. »Ich mochte Ihre Tante«, sagte er mürrisch. »Sie rief an, als meine Frau krank war, und bot uns ihre Hilfe an. Als ich sagte, daß weder sie noch sonst jemand etwas für uns tun könnte, ließ sie uns in Ruhe. Aber manche Leute zieht ein Totenbett unwiderstehlich an. Wie der Whistler geilen sie sich am Tod eines Menschen auf.«
    »Nein, aufdringlich war sie nicht«, sagte Dalgliesh. »Sie wird mir fehlen. Es tut mir leid, daß Sie Ihre Frau verloren haben.«
    Blaney schaute Dalgliesh ausdruckslos an, als müsse er überprüfen, ob die Worte ehrlich gemeint waren. »Danke, daß Sie den Kindern geholfen haben«, sagte er dann und packte seinen kleinen Sohn, der auf Dalglieshs Schultern saß. Mit dieser Geste machte er ihnen unmißverständlich klar, daß sie jetzt gehen sollten.
    Nachdenklich fuhren sie auf dem holprigen Feldweg dahin. Dalgliesh bog nach einer Weile ab, und sie gelangten zu der höher gelegenen Straße. Beide schwiegen, als stünden sie noch unter dem Bann dessen, was in Blaneys Cottage geschehen war.
    »Wer war die Frau auf dem Bild?« fragte Dalgliesh schließlich.
    »Sie kennen sie nicht? Das ist Hilary Robarts, eine Abteilungsleiterin im AKW. Sie werden sie am Donnerstag abend kennenlernen. Sie hat Scudder’s Cottage gekauft, als sie vor drei Jahren hierherkam. Seitdem versucht sie die Blaneys loszuwerden. Die Einheimischen verübeln ihr das.«
    »Warum tut sie es? Will sie darin wohnen?« fragte Dalgliesh. »Das kann ich mir nicht vorstellen. Ich glaube, sie hat in dem Haus nur ihr Geld investiert und möchte es nun verkaufen. Abgelegene kleine Häuser an der Küste – diese vor allem – sind sehr gefragt. Außerdem kann man’s ihr nicht verdenken. Blaney hat ihr zugesichert, daß er nur kurzfristig zur Miete wohnen wolle. Ich denke, sie ist verärgert darüber, daß er die Krankheit und den Tod seiner Frau und jetzt die Kinder zum Vorwand nimmt, ihre Vereinbarung nicht einzuhalten. Danach sollte er ausziehen, sobald sie das Cottage haben möchte.«
    Es verwunderte ihn, daß Alice Mair von den Vorgängen in der Gegend soviel wußte. Er hatte sie für einen

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