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Vorsatz und Begierde

Vorsatz und Begierde

Titel: Vorsatz und Begierde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P. D. James
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zurückhaltenden Menschen gehalten, der sich kaum um die Nachbarn oder deren Probleme kümmerte. Und er? Was sollte er nun tun? Er wußte noch immer nicht, ob er die Mühle verkaufen oder als Urlaubsdomizil behalten sollte, als eine ausgefallene, entlegene Zuflucht vor dem Leben in London, als ein Refugium, in das er vor der Beanspruchung durch seine Arbeit, durch seinen literarischen Erfolg flüchten konnte. Wie weit würde er sich, auch als zeitweiliger Besucher, vom Gemeinschaftsleben hier absondern können, von den Schicksalsschlägen der Leute hier oder deren Dinnerparties? Es war gewiß nicht schwer, sich mit etwas Sturheit ihrer Gastfreundlichkeit zu entziehen. Und stur konnte er sein, wenn es um seine Privatsphäre ging. Doch den weniger unmittelbaren nachbarschaftlichen Verpflichtungen konnte er nicht so leicht entkommen. In London konnte er abgekapselt leben, sich seine eigene Umwelt schaffen, von seiner Persönlichkeit nur das der Welt preisgeben, was er wollte. Auf dem Lande dagegen war man gesellig und von der Wertschätzung anderer abhängig. So hatte er in der ländlichen Pfarrei seine Kindheit und Jugend verbracht, hatte Sonntag für Sonntag an den vertrauten Gottesdiensten teilgenommen, die das bäuerliche Leben im Wandel der Jahreszeiten widerspiegelten, die es deuteten, ihm einen Sinn gaben. Diese Welt hatte er später ohne viel Bedauern verlassen und nicht erwartet, daß er sie auf der Landzunge von Larksoken wiederfinden würde. Selbst hier, in diesem kargen, unfruchtbaren Landstrich, mußte man sich gewissen Verpflichtungen stellen. Seine Tante hatte so zurückgezogen gelebt, wie es einer Frau nur möglich war. Aber auch sie hatte den Blaneys zu helfen versucht. Er mußte an den Mann denken, der da, auf sich allein gestellt, wie ein Gefangener hinter dem Geröllwall in dem verwahrlosten Cottage hausen mußte, Nacht um Nacht das unaufhörliche Rauschen des Meeres hörte, über das unstrittige oder vermeintliche Unrecht grübelte, das ihn zu dem haßerfüllten Frauenporträt getrieben hatte. Das tat weder ihm noch seinen Kindern gut. Auch für diese Hilary Robarts war es gewiß nicht angenehm.
    »Bekommt er irgendeine Unterstützung für seine Kinder?« fragte er. »Leicht hat er’s ja nicht.«
    »Er bekommt soviel, wie er bereit ist zuzulassen. Die Gemeinde hat es ermöglicht, daß die Zwillinge einen Kinderhort besuchen. Man holt sie meistens ab. Und Theresa geht selbstverständlich zur Schule. Sie nimmt den Bus, der an der Abzweigung hält. Sie und Ryan versorgen das Baby. Meg Dennison, die im Alten Pfarrhof für den Pastor und Mrs. Copley den Haushalt führt, meint zwar, wir sollten mehr für sie tun. Aber was? Als frühere Lehrerin, denke ich, müßte sie eigentlich genug von Kindern haben. Und ich selbst will gar nicht erst so tun, als könnte ich mit ihnen umgehen.«
    Dalgliesh fiel ein, wie sie im Wagen mit Theresa getuschelt, wie sich das ernste Mädchengesicht zu einem Lächeln verzogen hatte. Zumindest ein Kind verstand sie besser, als sie zugeben wollte.
    Er mußte an das Bild denken. »Es ist bestimmt nicht angenehm, wenn man, zumal in einer so kleinen Ortschaft, auf soviel Ablehnung trifft«, sagte er.
    Sie begriff sogleich, worauf er anspielte. »Wohl eher Haß als Ablehnung, meinen Sie nicht auch? Es ist unangenehm, geradezu erschreckend. Allerdings ist Hilary Robarts nicht so leicht zu ängstigen. Für Ryan ist sie das Böse schlechthin, vor allem seit dem Tod seiner Frau. Er bildet sich ein, Hilary habe sie ins Grab gebracht. Ich kann’s verstehen. Wir Menschen brauchen mitunter jemand, dem wir unsere mißliche Lage oder unsere Schuldgefühle anlasten können. Ihm war Hilary Robarts als Sündenbock gerade recht.«
    Es war eine unangenehme Geschichte, die ihn, nachdem er auch noch das Bild gesehen hatte, in eine gedrückte Stimmung versetzte, Vorahnungen weckte, die er gern als unsinnig abgetan hätte. Er war froh, daß sie nicht weiter darüber redeten. Schweigend fuhren sie weiter, bis er sie schließlich an der Pforte zu Martyr’s Cottage absetzte. Zu seiner Verblüffung hielt sie ihm die Hand entgegen und lächelte ihn abermals liebenswürdig an.
    »Ich bin froh, daß sie wegen der Kinder angehalten haben. Wir sehen uns also am Donnerstag abend. Dann können Sie sich ein eigenes Bild von Hilary Robarts machen und das Porträt mit dem Menschen selbst vergleichen.«

6
    Als der Jaguar die Hügelkuppe überquerte, stopfte Neil Pascoe gerade Abfall in eine der beiden

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