Vorzeitsaga 02 - Das Volk des Feuers
davonzustürmen.
Er hat sie in die Falle geträumt.
Seit dem Tag beobachte ich Zwei Rauchwolken. Er sitzt hinten in der Höhle, spricht kaum, läßt aber Kleiner Tänzer nicht aus den Augen. Wenn Kleiner Tänzer nachts Träume hat und aufwacht, starrt er auf die Spirale - oder auf den Wolf. Und wenn er diese Träume hat, wache ich auf. Ebenso Zwei Rauchwolken, obwohl er auf der anderen Seite der Höhle schläft. Ich glaube nicht, daß Kleiner Tänzer etwas merkt, aber Zwei Rauchwolken beobachtet ihn unablässig aus schmalen Augen hervor.
Ich habe ihn darauf angesprochen. Er lächelte merkwürdig - als ob es ihm das Herz zerreißen würde und sagte mir, ein Berdache könne Macht fühlen, denn er lebe im Zwischenraum zwischen den Welten.« Reizende Wapiti zog die Schultern hoch. »Mehr wollte er mir nicht sagen. Er legte mir nur die Hand auf die Schulter wie ein Bruder, der einen beruhigen will, und ging weg.«
Klappernde Hufe legte den Arm um die Schultern der Tochter. »Ja, möglich, daß Kleiner Tänzer magische Macht hat. Aber was mich angeht, soll er auf sich selbst aufpassen. Es ist meine Tochter, die mir Sorgen macht. Was glaubst du? Ist er den Kummer wert?
Wirst du es aushalten?«
Reizende Wapiti blickte in die liebevollen Augen ihrer Mutter.
»Ich… ich glaube schon. Er wird ein großer Mann werden, Mutter.
Das fühle ich. Vielleicht so groß wie der Erste Mann, der die Menschen von der Ersten Welt in diese Welt geführt hat.«
»Aber die Legenden sagen, daß der Erste Mann die Frauen mied«, erinnerte sie Klappernde Hufe mit hochgezogenen Augenbrauen.
Reizende Wapitis Blick ruhte in der Ferne, wo sich die graubraune Erde und der gelbbraune Fels der Gipfel mit dem tiefblauen Himmel vereinigten. »Wenn er gerufen wird, glaube ich, daß ich darauf vorbereitet bin.«
Sie senkte den Kopf. »Ich kann mich auf diesen Tag vorbereiten. Und wenn es soweit ist, dann wird mich die gemeinsame Zeit mit ihm trösten, oder was meinst du? Wenn du gewußt hättest, was meinem Vater zustößt - daß euch nur so wenig Zeit miteinander bleibt wie hättest du dich entschieden? Dich gleich von ihm zurückgezogen?« Klappernde Hufe sah sie nachdenklich an.
»Ich wußte nicht, daß man heutzutage schon in jungen Jahren so erwachsen ist. Als ich in deinem Alter und gerade eben zum erstenmal aus dem Menstruationszelt heraus war, interessierte ich mich für Männer. Ich probierte sie alle aus, lernte, was es mit der Vereinigung auf sich hat. Mein Bestreben war es, meine Freunde so eifersüchtig wie nur möglich zu machen. Ich wollte den bestaussehendsten Mann heiraten. Aber du, du machst dir Sorgen um einen einzigen und was für ein Leben dich an seiner Seite erwartet. Die meisten Mädchen deines Alters sind ausschließlich mit sich selbst beschäftigt und denken nicht so weit voraus.«
Klappernde Hufe verstummte. Eine tiefe Falte grub sich in ihre Stirn.
»Oder liegt es daran, daß du nur einen einzigen Mann gehabt hast? Vielleicht liegt es an deiner mangelnden Erfahrung? Hmm?
Könnte das sein? Du hast dich völlig auf Kleiner Tänzer fixiert, weil er weit und breit der einzige Mann ist, den du…«
»Nein.« Entschieden schüttelte sie den Kopf. »Darüber habe ich auch nachgedacht. Ich dachte an all die Dinge, die Tangara, Grille und ich uns in unserer Phantasie ausgemalt hatten. Manchmal liege ich nachts wach, blicke in das Feuer und versuche mir vorzustellen, welche Männer ich haben möchte. Ich meine nicht nur aus unserer Gruppe - sondern vom ganzen Rothand-Volk. Ich habe immer von Der das Hörn packt geträumt. Aber verglichen mit Kleiner Tänzers Feuer ist Der das Hörn packt lauwarme Asche. Ich mag ihn immer noch, und wenn Kleiner Tänzer mich verläßt, gehe ich vielleicht zu ihm.
Aber Kleiner Tänzer ist anders.«
»Jeder ist anders«, erinnerte sie ihre Mutter ironisch.
»Ich meine etwas Bestimmtes. Er ist… oh, er ist so freundlich.
Man hat ihm sehr weh getan. Sagst du mir, was du siehst, wenn du ihm in die Augen blickst?«
Unbehaglich rutschte Klappernde Hufe hin und her. Sie überlegte einen Moment. »Ja, ich weiß, was du meinst. Ich sehe dasselbe in den Augen seines Vaters. Aber ich kann Hungriger Bulle vertrauen.
Er würde mir nie weh tun. Er ist reif, ein Mann, der sich selbst kennt und weiß, was er vom Leben erwartet. Er hat die Fähigkeit, sich in andere hineinzuversetzen … was man ihm angetan hat, bürdet er nicht anderen auf. Ich habe Männer gekannt, die genau das tun, nämlich ihren
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