Vorzeitsaga 02 - Das Volk des Feuers
habe dir nie dafür gedankt.«
»Ich habe meine Pflicht noch nicht erfüllt. Jetzt, an diesem Punkt in deinem Leben, werde ich dir noch nützlich sein können.« Er lächelte, fühlte die Richtigkeit seiner Worte. Voller Ehrfurcht spürte er die Macht in seiner Reichweite.
Kleiner Tänzer fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und blickte ihn fragend an.
»Ein Berdache lebt zwischen den Kreisen Mann und Frau, Erde und Macht. Darauf war ich vorbereitet. Du konntest darüber hinaus ' blicken. Wenn sich ein Mann quält, weil seine Frau mit einem anderen schläft, kümmert dich sein Kummer? Sich wegen so etwas zu quälen, ist dumm in deinen Augen. Für dich existiert nur das Große Eine. Du warst jenseits von ich und du, jenseits der Unterscheidung von diesem und jenem in der Welt. Die Macht wählte mich für diesen einen Augenblick. Ich bin deine Brücke, Kleiner Tänzer. Durch mich bleibst du in Berührung mit dieser Welt, die du eine Illusion nennst. Ich kann dir deinen Weg erleichtern, dich lehren und dich verstehen, und gleichzeitig verstehe ich auch die Menschen, mit denen du zu tun hast. Darum wurde ich ausgewählt. Jetzt erst begreife ich. Erst jetzt verstehe ich, warum ich an diesen Platz geführt wurde, warum ich mich auf diesen Felsen gesetzt habe. Vielleicht blieb mir deshalb bis zum heutigen Tag das Geheimnis des Grases verschlossen. Der Kreis ist vollendet.«
»Aber was soll ich machen?«
»Träume, Kleiner Tänzer. Das sollst du. Träumen. Du träumst den wahrhaft neuen Weg des Volkes.
Du träumst die Spirale zurück ins Gleichgewicht. Den Rest überlasse mir. Ich bin dazu geschaffen worden, so wie ein Handwerker eine Hornschale formt und schnitzt.
Ich war ein Narr. Ich diene dir bis zum Ende - und damit erfüllt sich mein Wunsch. Ich komme mit dem Großen Einen in Berührung.« Er lächelte zur Morgensonne hinauf und hob die Hände. »Ich danke dir für diesen Tag, Großer Weiser im Himmel. Ich danke dir für dieses Wunder. Ich danke dir für das Licht der Erkenntnis. Ich, Zwei Rauchwolken, danke dir, daß du mich endlich sehen läßt.«
Reizende Wapiti saß oberhalb des Wegs und starrte hinüber zu den Gipfeln. In dieser Richtung war Kleiner Tänzer verschwunden. Wie lange würde es dieses Mal dauern? Zwischen den schwieligen Händen rieb sie lange Streifen aus Wacholderrinde, die sie mit einer großen Quarzitklinge vom Stamm alter Bäume geschält hatte. Sie riß die behaarte Rinde in Fasern und zerquetschte sie. Aus diesem Material stellte sie einen Saugstoff für das Hinterteil ihres Säuglings her. Säuglinge verbrauchten eine unglaubliche Menge dieses Feuchtigkeit aufsaugenden Stoffes.
Unruhig nagte sie an ihrer Unterlippe. Mit einem raschen Blick vergewisserte sie sich, daß das Baby friedlich in seinem Wiegenbrett schlief. Eine Drossel ließ sich auf einem Baumstumpf nieder und und trällerte ihr Lied hinaus in die warme Morgenluft.
Von weitem sah Reizende Wapiti Zwei Rauchwolken in seinem typisch pendelnden Gang näher hinken, dann erkannte sie auch Kleiner Tänzer und die magere Gestalt des schwarzen Wolfes. Kleiner Tänzer bewegte sich merkwürdig fahrig, das kannte sie gar nicht an ihm.
Er wirkte benommen. Beunruhigt sprang sie auf und eilte den Ankömmlingen entgegen.
Zwei Rauchwolken rief ihr etwas zu und bemühte sich, ihre Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, aber sie hatte bereits das seltsame Leuchten in Kleiner Tänzers Gesicht wahrgenommen.
Zwei Rauchwolken versuchte, sie in die Arme zu nehmen, doch sie entwand sich seinen Händen und warf sich an Kleiner Tänzers Brust.
In ihrer wahnsinnigen Sorge entging ihr, wie unbeholfen er sie festhielt. Erst als sich sein Körper versteifte und er vor ihr zurückwich, suchte sie in seinem Gesicht nach einem Hinweis für sein merkwürdiges Verhalten.
»Kleiner Tänzer, alles in Ordnung?«
»Mir geht es gut«, antwortete er mit spürbarem Unbehagen. Das vertraute liebevolle Leuchten in seinen Augen lag im Wettstreit mit etwas anderem, etwas Mächtigem und Furchterregendem. »Ich habe geträumt… das Große Eine berührt.«
»Reizende Wapiti?« Zwei Rauchwolken legte ihr eine Hand auf die Schulter. »Reizende Wapiti, er war in der Geisterwelt. Er träumte zusammen mit dem Ersten Mann.«
Verwundert über sein eigenartiges Lächeln starrte sie ihn an.
»Kleiner Tänzer?«
Mit beiden Händen umfaßte er ihr Gesicht. In diesem Augenblick lächelte er nur für sie, und ihre Seele jauchzte. »Reizende Wapiti, meine wunderbare
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