Vorzeitsaga 02 - Das Volk des Feuers
Muskeln suchte er Halt für die Füße, klammerte sich mit brennenden Fingern in die scharfen Ritzen im Fels und kletterte Stück für Stück hinunter.
Zuerst mußte er dafür sorgen, daß sich das Wolfsbündel erholte.
Ähnlich wie schon früher fühlte er in den Tiefen seines Geistes die Qual des heiligen Bündels, doch dieses Mal nahm er sie bewußt in sich auf. Er wußte, was zu tun war. Das lange Warten hatte ein Ende. So wenig Zeit blieb noch. Er mußte das Wolfsbündel holen und seine Macht wiederherstellen und er mußte noch soviel lernen.
Leise wimmernd wegen der Schmerzen in seinem Knie hinkte Zwei Rauchwolken den beschwerlichen Weg vom Erosionsgraben herauf. Je älter er wurde, desto schlimmer wurde das Leiden. Seine Hand umklammerte ein zartes Büschel Reisgras. Die Samenhülsen, reif und kurz vor dem Platzen, schwankten beim Gehen.
Er blieb kurz stehen, um wieder zu Atem zu kommen, dann stapfte er zu einem großen flachen Findling, setzte sich nieder und zog die Lederrolle mit seiner Grassammlung aus seinem Gürtel. Er entrollte den langen Lederstreifen und betrachtete die verschiedenen Gräser, die er während langer Jahre gesammelt hatte. Natürlich besaß er schon eine Menge Reisgras. Bewundernd blickte er auf die zerbrechliche Schönheit dieses Naturgeschenks.
Über ihm krächzte ein Rabe und zog Kreise, als ob er ihn einer beiläufigen Überprüfung unterziehen wolle. Silbern blinkend erhob sich ein Grashüpfer mit klickenden Flügeln in das schimmernde Licht.
Ein lebendiger Sommer, voll von den Geräuschen der Insekten und den wundervollen Liedern der Vogel.
Zwei Rauchwolken ließ sich die Sonne ins Gesicht brennen. Ein Tag wie dieser machte das Leben lebenswert. Die Wärme entschädigte ihn für die Stürme, die über das Land hinweggetobt waren und seinem üblen Knie noch mehr Schmerzen gebracht hatten. Dieser Tag belohnte ihn für die Zeiten, in denen er in durchnäßter Kleidung im Regen bibberte oder sich unter froststarren Felldecken zusammenkauerte.
Geistesabwesend hob er einen abgeschliffenen Kieselstein auf. Er zermalmte damit eine Samenhülse des Reisgrases, starrte auf die plattgedrückte Saat und die winzigen Härchen. Er zerquetschte noch eine Hülse und noch eine. Seine Aufregung wuchs.
»Du dummer alter Narr!« Er blinzelte. Endlich begannen sich die einzelnen Stücke seines langen Suchens zu einem Ganzen zusammenzufügen. Hier lag die Antwort - nach all den Jahren, in denen er die verschiedensten Samen gekaut, Grashalme zerrieben und stundenlang Schößlinge gezupft hatte, um die süßen Stengel zu knabbern. Nein, Menschen konnten nicht das ganze Gras essen, aber die Samen ja, die Samen , die waren eßbar.
Sein Herz drohte vor Freude zu zerspringen, und eine Träne lief ihm über die runzligen Wangen. Er hatte nie daran gedacht, die Samen zu sammeln - sie waren der kleinste Bestandteil der Pflanzen. Wie viele Male hatte er die Stengel gepflückt und die Samen achtlos herausfallen und sich auf dem Boden verteilen lassen? Doch gleichgültig, wie klein die Samen waren, es waren auf jeden Fall sehr viele.
Gras wuchs überall!
Er blickte sich um, überall konnte er die nickenden Köpfchen des sich aussamenden Grases sehen. In diesem Augenblick nahm er eine Bewegung wahr. Der schwarze Wolf trottete, gefolgt von Kleiner Tänzer, aus dem Wacholdergestrüpp.
Zwei Rauchwolken lachte in sich hinein. »He, komm her! Ich habe etwas entdeckt!
Ich habe das Geheimnis des Grases ergründet! Sieh her! Es sind die Samen! Es sind die Samen!
Kleiner Tänzer stolperte näher. Er ging wie ein Mann in einem Traum. Der Wolf lief, hechelnd in der Hitze, flink neben ihm her.
Erst als Kleiner Tänzer herangekommen war, bemerkte Zwei Rauchwolken die Veränderung in dessen Gesicht. Ekstase schlich sich in sein Herz. Kleiner Tänzer?«
Das vertraute Gesicht hatte sich gewandelt; sogar die Narbe auf seiner Wange schien deutlicher hervorzutreten, sie schien wie von innen heraus zu leuchten.
»Du hast das Geheimnis entdeckt?«
Zwei Rauchwolken nickte. Freudig erregt nahm er den seltsamen Glanz in den Augen des entrückt wirkenden jungen Mannes wahr. »Es sind die Samen. Er verstummte. Wir können die Samen sammeln. In einem Korb, wie wir es mit den Beeren machen und … Kleiner Tänzer, was ist passiert?«
»Ich träumte mit dem Ersten Mann.« Kleiner Tänzers Stimme klang, als käme sie aus weiter Ferne.
»Er fand mich oben auf dem Felsen.
Gemeinsam träumten wir… und Zwei Rauchwolken, es
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