Vorzeitsaga 02 - Das Volk des Feuers
Liebe in Reizende Wapitis Augen. Ich sehne mich danach, meine Töchter zu umarmen, sie spielen zu sehen. Ich möchte Hungriger Bulles Lachen über Schwarze Krähes Witze hören, mich an Drei Zehens Vogelstimmenimitationen erfreuen.
Wenn ich von heute an die Augen schließe, werde ich immer Weißes Kalbs Leiche erblicken, und das Leid wird sich immer tiefer in mein Innerstes fressen. Weißt du, was das bedeutet? Was ist, wenn ich es nicht schaffe, meinen Willen zu kontrollieren und den Weg in der mir zur Verfügung stehenden Zeit zu finden? Was dann? Ich weiß, ich kann mit dem Großen Einen tanzen, ohne unterzugehen.
Aber kann ich den Berg dann besteigen, wenn ich es muß? Ich brauche mehr Zeit«
Tangara erwachte vor Sonnenaufgang. Sie lag zusammengerollt unter ihrer Decke, und ihr Körper war so erschöpft als habe sie die ganze Nacht gekämpft. Schrecklicher Durst quälte sie. Mit der Zunge fuhr sie sich über die aufgesprungenen Lippen. Der unangenehme Geschmack in ihrem Mund widerte sie an. Sie schnitt eine Grimasse. Flammen. Das Bild des Traumes begleitete sie. Geistermacht war gekommen. Sie konnte die magische Anziehungskraft der Wolken während des letzten Sonnenuntergangs nicht vergessen. Mit steifen Muskeln setzte sie sich auf und blickte hinaus in die Morgendämmerung. Ja, es könnte gehen. Der Traum hatte ihr den richtigen Weg gewiesen. Ihr Magen knurrte. Sie rieb sich den Schlaf aus den Augen und stand auf, schüttelte rasch ihre Decke aus, legte sie sich um die Schultern und nahm ihren Beutel.
Sie setzte sich auf einen Felsen und beobachtete den anbrechenden Tag. Die Luft war klar und kühl.
Eine leichte Brise stieg aus dem Canyon herauf. Genüßlich sog sie den Geruch nach Föhren und trockenem Gras ein.
»Nur jemand, den rasende Wut antreibt, kann tun, was ich tun muß.«
Noch einmal durchlebte sie den Traum und sah den vor ihr liegenden Weg. Sie mußte sich nur ins Gedächtnis zurückrufen, welch entsetzliche Qualen ihr die Kleine-Büffel-Krieger zugefügt hatten, und ihr unbändiger Zorn flammte erneut auf.
Sie beobachtete, wie sich die Sonne über die Berggipfel erhob und die Wiesen mit goldenem Licht überflutete. Von den Kochfeuern kräuselte sich bereits feiner Rauch empor und verflüchtigte sich zwischen den Bäumen.
Im Vertrauen darauf, daß kein Feind in der Nähe lauerte, ging Tangara den steilen Hang hinunter. Sie blieb stehen, streifte ein wenig Föhrenrinde von einem Stamm und hob eine Handvoll Nadeln auf.
Nachdenklich zerkrümelte sie die Nadeln in der Faust. Sie wußte, was sie zu tun hatte.
Im Lager angekommen, begrüßte sie ihre Krieger mit munteren Zurufen. Ein Gefühl nie gekannter Freiheit durchdrang ihre Seele wie die belebende Frische eines Frühlingswindes.
»Widderhorn? Du und Hängender Fels, ihr müßt etwas für mich erledigen. Beeilt euch. Jeder von euch geht in eine andere Richtung.«
»Wie viele Leute brauchen wir?« Widderhorn trottete heran und ging neben ihr in die Hocke.
»So wenig wie möglich. Ich hatte heute nacht oben auf dem Berg einen Traum. Ich weiß, wie wir überleben können.«
Sie grinste, als sie das Funkeln in seinen Augen sah. »Einen Traum? Einen richtigen Traum von einer Macht?«
Sie nickte, tief in ihrem Innern spürte sie dies mit unerschütterlicher Gewißheit. »Den Traum einer Macht. Eine Botschaft aus der Geisterwelt.«
Widderhorn kratzte sich hinter dem Ohr und nickte. »Was müssen wir tun?«
Mit flinken Fingern begann sie auf dem Boden ihre Strategie aufzuzeichnen.
»Blutbär!«
Der Ruf kam von rechts. Er drehte sich um und entdeckte Warmer Wind hinter einem am Boden liegenden Baumstamm. Der Krieger hatte einen Speer wurfbereit in den Atlatl eingelegt, die anderen Speere hielt er griffbereit in der Hand.
»Warmer Wind? Warum versteckst du dich?«
Grinsend kam der junge Mann aus dem Unterholz hervor. »Du bringst das Wolfsbündel. Wir sind wieder ein Ganzes! Du fragst, was ich hier mache? Ich bewache den Pfad. Wärt ihr eine Horde feindlicher Krieger gewesen, hätte ich den letzten in der Reihe getötet und wäre zwischen den Bäumen verborgen zum Lager gerannt. Dahinten ist ein von Wapitis getretener Pfad. Ich hätte unsere Krieger gewarnt.
Während der Feind im Wald herumgeirrt und hinter meinem Schatten hergewesen wäre, hätten wir ihm am Eingang des Canyons dort oben einen Hinterhalt gelegt.«
Blutbär lächelte humorlos. »Aus deinen Worte schließe ich, daß sich Tangaras Lager da vorn befindet.« Er blickte sich
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