Prinzessin oder Erbse
Kapitel 1
»Und der diesjährige Deutsche Buchpreis des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels geht an ›Geborgte Stunden‹ von Stefanie May!« Tosender Applaus brandet auf, während ich mich mit wackeligen Knien erhebe und in Richtung Bühne stolpere. Jemand fasst mich am Handgelenk, wirbelt mich zu sich herum und drückt mir einen langen Kuss auf die Lippen.
»Herzlichen Glückwunsch, Fanny. Du hast es verdient«, sagt der Mann. Ich versuche, ihm in die Augen zu sehen, aber sein Gesicht ist merkwürdig verschwommen. Verwundert kneife ich die Lider zusammen. Muss der Schock sein, beschließe ich dann. Ist ja auch kein Wunder. Du meine Güte, mein Roman gewinnt einen Preis. Wo sich doch für meine ersten beiden Bücher niemand wirklich interessiert hat. Meine beste Freundin Julia sitzt in der ersten Reihe und klatscht wie verrückt in die Hände. Ich darf auf keinen Fall vergessen, sie in meiner Dankesrede zu erwähnen. Wie oft hat sie sich mein Gejammer angehört, dass niemand meine Bücher lesen will? Wie viele Teller Spaghetti hat sie für mich gekocht, wenn ich mich im Schreibrausch nicht vom Computer losreißen konnte? Ich löse mich von meinem Begleiter, streiche den Rock
meines fliederfarbenen Kleides glatt, dessen fließender Schnitt meine etwas zu breiten Hüften geschickt kaschiert, und fingere aufgeregt in dem kleinen Beutel herum, der mit einem samtenen Band an meinem Handgelenk befestigt ist. Wie gut, dass ich meine Rede zu Papier gebracht habe. Ich hätte nie gedacht, dass ich mich so fühlen könnte. So losgelöst. Und so vollkommen verwirrt. Erneut werfe ich einen Blick auf den Mann, der mich eben so zärtlich geküsst hat und dessen Name mir nicht einfallen will. Vielleicht habe ich ihn ja in meiner Dankesrede erwähnt, hoffe ich und falte das kleine weiße Papier auseinander, während ich auf meinen hohen Absätzen die Treppe hinaufbalanciere. Wie in Trance nehme ich den Preis entgegen. Die applaudierende Menge verschwimmt vor meinen Augen, Männer in teuren Smokings, die Frauen in Abendkleidern aus edlen Stoffen. Und alle klatschen sie. Für mich. Mich überrollt ein Glücksgefühl, so übermächtig, dass es fast schmerzhaft ist. Schließlich verebbt der Applaus, und ich lehne mich ein wenig in Richtung des Mikrofons, das vor meiner Nase von der Decke herunterbaumelt.
»Danke«, sage ich krächzend und räuspere mich. Mit klarer Stimme fahre ich fort: »Ich danke Ihnen allen.«
»Fannyyyy!«, ruft Julia, und es sind vereinzelt Lacher zu hören.
»Juliaaaa«, rufe ich zurück und winke ihr lächelnd zu. Dann werfe ich einen Blick auf meinen Spickzettel und hole tief Luft: »Ich glaube, jeder, der selber schreibt, weiß …«
»Fannnyyyy«, erklingt es erneut aus der ersten Reihe, und ich hebe irritiert den Kopf. »Fanny, Fanny, Fanny!«
»Sie findet mich nicht lustig, das ist mein Spitzname«, erkläre ich dem Publikum.
»Fanny, Fanny!«
»Ja. Danke«, sage ich nachdrücklich. »Also, wie ich sagte, jeder, der selber …«
»Fanny, Fanny!« Jetzt beginnt Julia auch noch, mit den Fingerknöcheln auf ihrem Stuhl herumzuklopfen. Sie gebärdet sich wie eine Verrückte, und alle recken die Köpfe, um zu sehen, was sie da treibt. Fassungslos starre ich meine Freundin an, die jetzt aufsteht und sich dem Publikum in ihrem silbergrauen Seidenkleid präsentiert. Wie ein Megafon legt sie beide Hände um ihren Mund und ruft immer lauter: »Fanny, Fanny, Fanny.« Mir wird schwindelig, die Gesichter in der Menge verwandeln sich in eine wabernde, wogende Masse.
»Julia, hör auf damit«, versuche ich zu rufen, aber meine Kehle ist wie zugeschnürt. Wieso tut sie mir das an? Warum verdirbt sie mir meinen Triumph?
»Fanny, Fanny«, hallt es in meinen Ohren, und plötzlich verliere ich das Gleichgewicht und sinke zu Boden. »Fanny, du musst aufstehen«, ruft Julia mir zu.
Mit einem Ruck setze ich mich auf. Wo bin ich? Mein Blick fällt auf das goldgerahmte Engelsbild an der gegenüberliegenden Wand. Unter meinen Händen fühle ich den kühlen Satin meiner dunkelblauen Bettwäsche.
»Fanny, Fanny«, erklingt es von der anderen Seite der Tür. Es war nur ein Traum. Verdammt. Und wieder bin ich nicht dazu gekommen, meine Dankesrede zu halten.
»Ist ja gut«, rufe ich schlecht gelaunt und lasse mich in die Kissen zurücksinken. Die Türklinke wird heruntergedrückt,
Sekunden später steht Julia vor meinem Bett und schaut kopfschüttelnd auf mich herunter. Sie hat den silbernen Fummel gegen einen
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