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Vorzeitsaga 04 - Das Volk vom Fluss

Vorzeitsaga 04 - Das Volk vom Fluss

Titel: Vorzeitsaga 04 - Das Volk vom Fluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathleen O'Neal Gear , W. Michael Gear
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glücklich zu sein. Zum erstenmal seit Wochen glühten ihre runzligen Wangen in zartem Rosa. Sie wirkte verjüngt, selbst ihre Knollennase und ihr gekrümmter Rücken fielen kaum noch auf. Sie hatte das graue Haar zu einem festen Knoten geschlungen und mit Kämmen aus Schildkrötenpanzern befestigt. Ihr orangefarbenes Kleid verlieh ihr einen fröhlichen Farbtupfer.
    Seufzend veränderte Grüne Esche ihre Lage auf dem dicken Deckenpolster neben der Eingangstür von Primels Haus. Sie fühlte sich erbärmlich.
    Normalerweise hätte das Gelächter der Kinder Grüne Esche Freude gemacht, doch an diesem Tag nicht. Im Laufe der letzten Woche waren ihre Schmerzen immer unerträglicher geworden, und die Geburtshelferinnen hatten es nicht vermocht, die Qualen zu lindern. Sie versuchte sich abzulenken und sah zu Primel hinüber, der über dem Feuerloch in der Mitte kauerte und hingebungsvoll in einer Maissuppe, gewürzt mit Gänsefußkraut und Minze, rührte. Er trug ein einfaches hellbraunes Kleid mit fransenbesetzten Ärmeln. In seinen langen schwarzen Haaren glitzerten Seemuscheln. Weil er als Berdache wie eine Frau behandelt wurde, hatte der Blaudecken-Stamm Primel ein Stück Land für das Haus und die umliegenden Felder gegeben.
    Heuschrecke döste auf dem erhöhten Schlafpodest hinter Primel, nur die Spitzen ihrer Mokassins waren zu sehen. Primel blickte liebevoll zu ihr hinauf, als wolle er sich vergewissern, daß Heuschrecke noch da war.
    Grüne Esches Blick schweifte über die langen Reihen bunter Körbe an den Wänden. Woher hatte Primel nur das Talent, Farben und Formen so geschickt miteinander zu verbinden? Ein runder roter Korb stand in vollendeter Harmonie auf einem eckigen grünen. Die bunte Mischung der Farben erfreute das Auge und beruhigte die Seele.
    Grüne Esche sehnte sich nach Ruhe. Das ungeborene Kind trat so heftig um sich, daß sie vor Panik fast krank wurde. War mit dem Baby alles in Ordnung? Die Geburtshelferinnen schienen es nicht zu wissen. Sie hatte die anderen schwangeren Frauen im Dorf nach deren Befinden gefragt. Vier dieser Frauen waren wie Grüne Esche ebenfalls seit sieben Monden schwanger, aber keine berichtete von ähnlich starken Schmerzen.
    Einmal in jedem Mond versammelten die Stammesführerinnen die Kinder um sich und erzählten ihnen die alten Geschichten. Wenn die Kinder dreizehn oder vierzehn Sommer alt und erwachsen waren, erwartete man von ihnen, daß sie die heiligen Geschichten fehlerlos vortragen konnten. Primel hatte Grüne Esche gebeten, an der Erzählstunde teilzunehmen.
    Primels Sorge um Winterbeere erwies sich als unbegründet. In dem Augenblick, da sich die Kinder an ihre Knie drängten, rappelte sich die alte Frau auf und schüttelte ihre Trübsal ab wie glitzernde Schneeflocken von einem Mantel. Winterbeere schien vergnügter, als es Grüne Esche seit Monden erlebt hatte. Ihre runzligen Lippen verzogen sich zu einem breiten Lächeln. Sie beugte sich vor und deutete auf den kleinen Höhleneule. »Und was geschah dann?«
    Der fünf Zyklen alte Junge war hingerissen, daß ausgerechnet er antworten durfte. »Die Schildkröte holte Schlamm herauf!«
    »Richtig«, lobte ihn Winterbeere. »Die Schildkröte brachte Schlamm aus den Tiefen des Ozeans herauf, und der Erdenschöpfer formte den Schlamm zu Land und knetete auch die Formen der Bäume, Tiere und Menschen daraus. Und was folgte dann?«
    Ysop rutschte unruhig auf den Knien. »Der Erdenschöpfer hauchte Geist in die Welt, so wie wir in die Pfeilspitzen! Und alles Lebendige erhielt seine eigene Farbe. Die Bäume wurden grün, und die Tiere -«
    »Gut. Du hast es verstanden.« Winterbeere wippte mit dem Oberkörper vor und zurück und lächelte breit. »Doch als der Erdenschöpfer sein Werk vollendet hatte, bemerkte er entsetzt, daß er vergessen hatte, Platz für Flüsse und Bäche zu lassen - und er wußte nicht, wohin mit ihnen. Alles war ihm so wunderschön geglückt, daß ihm die Vorstellung verhaßt war, Gräben aufzureißen, in denen das Wasser hätte fließen können. Unschlüssig zauderte er so lange, bis die Pflanzen die Köpfe hängen ließen und die Tiere verdursteten. Da ging die Bisamratte mit vor Durst heraushängender Zunge zum Erdenschöpfer und sagte ihm, er täte gut daran, sich zu beeilen.«
    »Deshalb hat der Erdenschöpfer die Flüsse gemacht!« nuschelte der zwei Zyklen alte Bussard, ohne den Finger aus dem Mund zu nehmen. Sofort wurde er von den anderen Kindern laut kreischend überschrien: »Nein,

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